Klima

Kippt der Nordatlantikstrom früher?

Umstrittene Studie prognostiziert Kollaps der Umwälzströmung für das Jahr 2050

Nordatlantische Umwälzströmung
Die nordatlantische Umwälzströmung ist das Weltklima entscheidend. Doch diese Strömung schwächt sich zusehends ab. © Peter Furian/ iStock

Umstrittene Prognose: Ein Forschungsteam hat die Entwicklung der großen Umwälzströmung im Nordatlantik erneut untersucht – und kommt zu einer gewagten Prognose. Demnach ist der Nordatlantikstrom nah am Kipppunkt und könnte schon zwischen 2050 und dem Jahr 2100 in einen neuen Zustand umkippen, vielleicht sogar komplett kollabieren. Allerdings ist diese Prognose umstritten und wird von Fachkollegen kritisiert. Der Weltklimabericht und viele andere Klimaforscher sehen die Gefahr eines teilweisen oder kompletten Kollapses frühestens ab 2100.

Die Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC) ist ein Motor der globalen Ozeanzirkulation und sorgt für die Wärmeverteilung zwischen Polen und Äquator. Doch diese „Fernheizung“ unseres Kontinents schwächelt. Durch den vermehrten Einstrom von Schmelzwasser und den Rückgang des Meereises ist der Nordatlantikstrom so schwach wie seit tausend Jahren nicht. Zudem mehren sich Vorzeichen eines Umkippens in einen dauerhaft schwächeren oder sogar stagnierenden Zustand.

Wann kommt es zum Kippen?

Doch wann könnte der Kipppunkt erreicht sein? Das im Vorhinein festzustellen, ist alles andere als einfach. Denn die Umwälzströmung ist ein komplexes System aus Oberflächen- und Tiefenströmungen, dessen Verhalten und Einflussfaktoren nur schwer zu erfassen und noch schwerer vorherzusagen sind. Hinzu kommt, dass präzise Satelliten- und Sensormessdaten über Strömungsgeschwindigkeit, umgewälzte Wassermassen und andere Parameter erst seit 2004 verfügbar sind.

Bisher galt eine genauere Prognose des Kippzeitpunkts daher als kaum möglich. Im aktuellen Weltklimabericht des IPCC gilt aber eine fortschreitende Abschwächung des Nordatlantikstroms im 21. Jahrhundert als sehr wahrscheinlich. Einen teilweisen oder kompletten Kollaps der Umwälzströmung sagt der Bericht aber erst für nach 2100 voraus.

subpolarer Gyrus
Das schwarz umrandete Gebiet markiert den subpolaren Gyrus, eine Meeresregion, in der die Meerestemperaturen eng mit der AMOC verknüpft sind. © Peter und Susanne Ditlevsen/ Nature Communications, CC-by 4.0

AMOC-„Fingerabdruck“ als Prognosehelfer

Dem widerspricht jetzt eine aktuelle Prognose des Forscherduos Peter und Susanne Ditlevsen von der Universität Kopenhagen. Sie haben die Zeitreihe der AMOC-Messungen mithilfe eines indirekten „Fingerabdrucks“ weiter in die Vergangenheit verlängert. „Analysen von Beobachtungsdaten kombiniert mit einer großen Zahl von Klimamodelle-Simulationen haben festgestellt, dass die Meerestemperaturen im subpolaren Gyrus des Nordatlantiks ein optimaler Finderabdruck für die Stärke der AMOC sind“, erklärt das Duo.

Der entscheidende Meeresbereich liegt demnach zwischen der Küste Neufundlands im Westen, grenzt im Norden an Grönland und erstreckt sich im Osten bis nach Spitzbergen. Für ihre Studie haben die Forschenden die Meerestemperaturen dieses subpolaren Strömungswirbels von 1870 bis heute ausgewertet. Dabei suchten sie gezielt nach Vorzeichen des Umkippens, darunter größer werdenden Schwankungen und einer zunehmenden Autokorrelation. Letzteres bedeutet, dass Abweichungen vom Mittel vermehrt ähnliche Ausschläge nach sich ziehen.

„Mithilfe neuer und verbesserter statistischer Verfahren haben wir Berechnungen angestellt, die eine robustere Schätzung darüber erlauben, wann der Kollaps der thermohalinen Zirkulation am wahrscheinlichsten eintreten wird“, erklärt Susanne Ditlevsen.

Diagramme
Meerestemperaturen im subpoaren Gyrus (a), Varianz (b) und Autokorrelation (c) als Vorzeichen des Umkippens. f zeigt die daraus abgeleitete Schätzung für den Kollaps-Zeitpunkt. © Peter und Susanne Ditlevsen/ Nature Communications, CC-by 4.0

Kollaps schon um 2050?

Auf Basis dieser Analysen kommt das Team zu dem Schluss: Die nordatlantische Umwälzströmung ist näher an ihrem Kipppunkt als bisher angenommen. „Wir sagen mit hoher Wahrscheinlichkeit voraus, dass das Umkippen schon Mitte dieses Jahrhunderts stattfinden könnte“, schreiben Peter und Susanne Ditlevsen. Der von ihnen geschätzte Zeitpunkt liegt um das Jahr 2050 herum, wenngleich die Spanne von 2025 bis 2095 reicht.

Ob es allerdings zu einem kompletten Stopp der Umwälzströmung kommt oder nur einem Teilkollaps, sei nicht eindeutig zu ermitteln, so die Ditlevsens. Sie räumen zudem ein, dass sie bei ihren Berechnungen bewusst von einem vereinfachten Modell des Systems ausgegangen sind. „Trotz dieser Einschränkungen ist dies ein besorgniserregendes Ergebnis“, sagen sie. Dies gelte vor allem angesichts der potenziell schwerwiegenden Folgen für das irdische Klima.

„Aussage steht auf tönernen Füßen“

Doch was ist dran an dieser gewagten Prognose? Fachkollegen des Forscherduos sehen deren Schlussfolgerungen eher kritisch. „Im Detail ist die statistische Analyse selbst korrekt. Ich finde aber nicht, dass die Schlussfolgerung der Studie mit der Datengrundlage und Modellqualität gerechtfertigt ist“, kommentiert Niklas Boers vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der selbst zur AMOC forscht. Die Unsicherheiten seien so groß, dass man auf Grundlage der Analyse historischer Daten keine Aussage zum Zeitpunkt des Kippens treffen könne.

Noch deutlicher fällt die Kritik von Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg aus. Der renommierte Klimaforscher konstatiert: „Die in der nun erscheinenden Studie so zuversichtlich vorgetragene Aussage, es werde im 21. Jahrhundert zum Kollaps der AMOC kommen, steht auf tönernen Füßen.“ Seiner Ansicht nach ist sowohl die Reduktion des komplexen Systems auf ein relativ einfaches Modell als auch die Verwendung nur der regionalen Oberflächentemperatur als Fingerabdruck fragwürdig und die Schlussfolgerung daher höchst zweifelhaft.

Kipppunkt rückt dennoch näher

Die aktuelle Debatte unterstreicht damit erneut, wie schwierig es ist, die komplexen Wechselwirkungen und Reaktionen des gekoppelten Ozean-Klimasystems zu verstehen und einzuschätzen. „Es besteht immer noch große Unsicherheit darüber, wo der Kipppunkt der AMOC liegt“, kommentiert Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), einer der einer der Vorreiter der AMOC-Forschung.

Immerhin über eines herrscht Einigkeit: Die Umwälzströmung schwächt sich zunehmend ab und nähert sich damit einem Kipppunkt. Solange der Klimawandel nicht gestoppt wird, wird der Zeitpunkt für dessen Erreichen immer näher rücken. „Die neue Studie ergänzt Evidenz dafür, dass er viel näher ist, als wir noch vor ein paar Jahren dachten“, so Rahmstorf. (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-39810-w)

Quelle: University of Copenhagen, Science Media Center

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