Zu extrem für die Klimamodelle: Auf der Erde gibt es immer mehr unvorhergesehene Hitze-Hotspots – und auch Deutschland gehört dazu, wie eine Studie enthüllt. In diesen Gebieten treten Extremtemperaturen und Hitzewellen auf, die die Vorhersagen der gängigen Klimamodelle übertreffen. Einer der ausgeprägtesten Ausreißer dieser Art liegt in Europa, aber auch Teile Asiens, Nordamerikas und Russland sind betroffen. Die Ursachen sind jedoch bisher unklar.
Ob im Westen Kanadas, im Mittelmeerraum, in Indien oder sogar in der Arktis und Antarktis: In den letzten Jahren gab es in vielen Regionen neue Temperaturrekorde und besonders intensive, anhaltende Hitzewellen. Prinzipiell kommt dies nicht unerwartet: Klimamodelle prognostizieren schon länger, dass sich mit den steigenden Durchschnittstemperaturen auch die Temperaturextreme mehren.
Heißer als die Modelle vorhersagen
Doch wie sich jetzt zeigt, geht die neue Hitze in einigen Regionen weit über das hinaus, was Klimamodelle erklären können. „Hier geht es um extreme Trends, deren physikalische Basis wir nicht ganz verstehen“, erklärt Erstautor Kai Kornhuber vom International Institute for Applied Systems Analysis (IASA) in Österreich. Für ihre Studie haben die Forscher regionale Maximaltemperaturen der letzte 65 Jahre ausgewertet und diese mit den Prognosen eines großen Satzes von Klimamodellen abgeglichen.
Das Ergebnis: Fast überall auf der Welt gibt es Hotspots mit Extremtemperaturen, die über das in den Modellen Prognostizierte hinausgehen. In Westkanada beispielsweise wurden die bisherigen Maximaltemperaturen im Juni 2021 um gleich 30 Grad übertroffen. An anderen Orten kommen solche Hitzewellen häufiger vor als sie es statistisch dürften. Klimaforscher sprechen von einem „Tail-Widening“ – einer überproportionalen Zunahme der Extreme in der Verteilungskurve. „Die Modelle unterschätzen die Landfläche, in der ein solches Tail-Widening um mehr als 0,5 Grad pro Jahrzehnt stattgefunden hat, um den Faktor vier“, konstatieren Kornhuber und sein Team.
Europa ist der stärkste Hitze-Ausreißer
Wie ein fiebriger Ausschlag verteilen sich diese roten Hotspots auf der Weltkarte der Modellabweichungen. „Diese Gebiete werden vorübergehend zu Treibhäusern“, sagt Kornhuber. Besonders ausgedehnt sind die roten Flecken im Süden Südamerikas und Australiens, in Europa, im Norden Nordamerikas, Grönlands und in Teilen Chinas und Russlands. Auch im Amazonasgebiet überschreiten die Hitzetage teilweise das von den Modellen Vorhergesagte. Es gibt aber auch einige Regionen, in denen die Hitze sich langsamer entwickelt als prognostiziert, darunter Nordafrika, Sibirien und Teile der USA.
Doch die am mit Abstand stärksten betroffene Region ist Nordwest- und Mitteleuropa: „Europa ist ein globaler Hitzewellen-Hotspot, in dem die heißesten Tage des Jahres doppelt so schnell wärmer werden als im Mittel“, berichten die Forschenden. Vor allem in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden gab es in den vergangen fünf bis zehn Jahren immer wieder außergewöhnliche Hitzephasen, die über dem von den Modellen prognostizierten lagen, wie Kornhuber und sein Team ermittelten.
Allein 2022 und 2023 starben insgesamt mehr als 100.000 Menschen durch die extremen Hitzesommer – auch, weil Klimaanlagen anders als in den USA oder Teilen Asiens bei uns noch wenig verbreitet sind. Im September 2024 gab es ebenfalls neue Rekordtemperaturen für diese Jahreszeit, unter anderem in Frankreich, Ungarn, Norwegen und Schweden.
Ursachen vielfältig und teils ungeklärt
Warum diese Hitze-Hotspots die Prognosen überholt haben, ist nicht eindeutig geklärt. Kornhuber und sein Team vermuten aber, dass eine Kombination mehrere Faktoren zu dieser regionalen Überhitzung beiträgt. In Europa und Russland gilt der Jetstream als ein ausschlaggebender Faktor. Durch die starke Erwärmung der Arktis wird dieses wellenartig über die Nordhalbkugel laufende Windband geschwächt und verlangsamt. Dies blockiert den Wetterwechsel und lässt tropische Warmluft häufiger bis weit in die gemäßigten Breiten strömen.
Allerdings kann dieser Effekt nicht alle jetzt identifizierten Hitze-Hotspots erklären. In anderen Regionen könnten daher weitere Strömungsmuster und die zunehmende Trockenheit die Erwärmung verstärken, so die Hypothese von Kornhuber und seine Kollegen. Bei diesem „dry gets hotter“-Mechanismus steigen die Temperaturen, weil trockenere Böden und Vegetation weniger Verdunstungskühle erzeugen. „Trockenen Böden und die damit verknüpften Feedbacks sind bedeutende Hitzewellen-Treiber“, so das Team.
„Wir sind für diese Extreme nicht gemacht“
Nach Ansicht der Klimaforscher demonstrieren diese Ergebnisse, dass die Folgen des Klimawandels noch lange nicht vollständig verstanden oder vorhersagbar sind. „Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, die Treiber der extremen Hitze besser zu verstehen und die Treibhausgas-Emissionen rapide zu senken, um weiteren Schaden durch solche nicht vorhergesagten Wetterveränderungen zu minimieren“, konstatieren Kornhuber und seine Kollegen.
Angesichts der gravierenden Folgen von Hitzewellen und Extremtemperaturen könne es sich die Menschheit nicht leisten, nichts zu tun. „Wir sind für diese Extreme nicht gemacht und möglicherweise können wir uns nicht schnell genug anpassen“, warnt Kornhuber. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2024; doi: 10.1073/pnas.2411258121)
Quelle: Columbia Climate School, International Institute for Applied Systems Analysis