Reiche Länder sind zunehmend für den Ausstoß von Treibhausgasen in ärmeren Ländern verantwortlich. Dort wird durch die Produktion von Waren für den Konsum in Industrieländern mehr CO2 erzeugt, als diese in ihren eigenen Grenzen einsparen. Dies hat ein internationales Wissenschaftlerteam in der ersten umfassenden Studie zu diesem Thema herausgefunden, die jetzt in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences” (PNAS) erschienen ist.
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Unter dem Klimaschutzabkommen des Kyoto Protokolls haben sich Industrieländer zur Begrenzung ihres CO2-Ausstoßes verpflichtet. Für Schwellen- und Entwicklungsländer wurde auf eine solche Begrenzung jedoch verzichtet, um notwendiges Wirtschaftswachstum im Kampf gegen die Armut nicht zu behindern. Industrienationen können deshalb auch durch wachsenden Konsum von Produkten aus Entwicklungsländern direkt am globalen Anstieg klimaschädlicher CO2-Emissionen mitwirken. Um herauszufinden, wie sich dieser Trend entwickelt, hat das internationale Forscherteam Emissionsverlagerungen in 95 Ländern und 57 Wirtschaftsbranchen über 19 Jahre hinweg untersucht. Bislang hatte es ähnliche Analysen nur für einzelne Jahre gegeben.
Konsum verlagert Emissionen in arme Länder
Das Ergebnis bestätigt den Verdacht: In den Industrieländern werden mehr und mehr Waren konsumiert, die in Entwicklungsländern produziert werden. Während in Industrieländern der Emissionsanstieg zwischen 1990 und 2008 insgesamt gebremst wurde, betrug er weltweit 39 Prozent. Die CO2-Emissionen für die Produktion von Gütern, die in Industrieländern konsumiert werden, ist dabei überdurchschnittlich gewachsen. Eine Verlagerung von Emissionen in die ärmeren Länder könnte auf Dauer die Wirkung von Emissionsbegrenzungen etwa in Deutschland oder Europa unterlaufen, so die Autoren.
„Wer ein Radio oder eine Hose in Deutschland kauft, verursacht CO2-Emissionen im Herstellungsland, weil die Fertigung nun einmal Energie verbraucht – etwa in China oder Bangladesch“, erklärt Jan Christoph Minx aus den Forschungsbereichen Klimaökonomie und Sustainable Engineering der Technischen Universität Berlin. „Durch ihren Konsum haben die meisten Industrieländern zu mehr Emissionswachstum in Entwicklungsländern beigetragen, als sie durch Klimaschutz zu Hause eingespart haben.“ Der Konsum in Industrienationen verursachte einen Emissionsanstieg in Entwicklungsländern, welcher die bis 2008 erreichten Emissionseinsparungen in den Industrienationen um ein Fünffaches übersteigt.
Schwächen im Berichtssystem
Die Studie zeigt deutliche Schwächen im internationalen Berichtssystem zur Erfassung von Emissionen auf. „Im heutigen Zurechnungssystem müssen Industriestaaten die durch ihren Konsum verursachten Emissionen nicht melden, selbst wenn diese zum weltweiten Emissionsanstieg beitragen“, sagt Leitautor Glen P. Peters, vom Center for International Climate and Environmental Research (CICERO) in Oslo. „Unsere Forschungsergebnisse legen nahe, dass sie über die durch internationalen Handel auftretenden Emissionen zusätzlich berichten sollten.“
Emissionen werden unter dem Kyoto Protokoll dem Land zugeschrieben, auf dessen Gebiet sie entstehen. Ob dieses Prinzip alleine ausreicht, solange es nur regionale Ziele im internationalen Klimaschutz gibt, stellt die Studie nun in Frage. „Wir begrenzen Emissionen bei uns, verursachen aber zugleich mehr CO2-Ausstoß in Regionen ohne Klimaschutzziele“, sagt Minx. Nur durch dieses Auslagern von Emissionen, so die Autoren, könnten die Industrieländer bislang ihre Klimaschutzziele mit vergleichsweise geringen Anstrengungen und trotz wachsenden Konsums erreichen.
Ausweitung der Emissionsvorgaben nötig
„Das bedeutet nicht, dass man auf regionale Regeln zur Emissionsvermeidung genauso gut verzichten könnte, sondern dass im Gegenteil deren Ausweitung nötig ist“, erklärt Professor Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der zugleich das von der Michael-Otto Stiftung mitfinanzierte Fachgebiet Klimaökonomie an der TU Berlin leitet. Auch er ist einer der Autoren. Derzeit ist das Klimaschutzsystem international zersplittert. „Jetzt brauchen wir Pfade zu einem globalen Abkommen“, betont Edenhofer. Nur ein solches könne letztlich die in der Studie aufgezeigten Probleme vermeiden.
Es sei nicht die Klimapolitik in Industrienationen, die zu Verlagerung von Emissionen führt, sondern andere Treiber des globalen Strukturwandels, so argumentieren die Autoren weiter. Beispielsweise führt das niedrigere Lohnniveau in Entwicklungs- und Schwellenländern zu Produktionsverlagerungen aus Industrieländern. Die Wissenschaftler stützen sich dabei auf Computersimulationen anderer Forscher sowie auf eigene Beobachtungen. So zeigt ein Vergleich der Europäischen Union und
der USA: nur in der EU gibt es verbindliche Regeln für Klimaschutz – trotzdem ist hier wie dort der Transfer von Emissionen durch Handel gleichermaßen gestiegen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2011; doi: 10.1073/pnas.1006388108)
(Gemeinsame Pressemitteilung der Technischen Universität Berlin und
des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, 27.04.2011 – NPO)