Schon Mitte dieses Jahrhunderts könnte der Klimawandel die einzigartigen Seegraswiesen des Mittelmeeres vernichtet haben. Denn die sehr langsam wachsenden Wasserpflanzen reagieren extrem sensibel auf die Erwärmung des Meerwassers. ‚“Die Todesrate des Neptungrases verdreifacht sich, wenn die maximalen Wassertemperaturen um nur drei Grad ansteigen“, warnt ein internationales Forscherteam im Fachmagazin „Nature Climate Change“. Selbst bei relativ optimistischen Prognosen der kommenden Erwärmung werde 2050 der Punkt erreicht sein, an dem die Seegraswiesen aussterben.
„Wenn wir sicher gehen wollen, dass dieses jahrtausendealte Ökosystem auch im nächsten Jahrhundert noch existiert, müssen wir schnell und entschieden handeln“, schreiben Gabriel Jorda vom Institut Mediterrani d’Estudis Avançats im spanischen Esporles und seine Kollegen. Denn das nur im Mittelmeer vorkommende Neptungras habe kaum Möglichkeiten, sich an die steigenden Temperaturen anzupassen. Und in kühlere Meeresgebiete ausweichen könne die Pflanze auch nicht, da das Mittelmeer nach Norden hin von Land umschlossen ist.
Grundlage des Artenreichtums im Mittelmeer
Das Neptungras Posidonia oceanica bildet im Mittelmeer ausgedehnte Unterwasserwiesen, die bis zu 50.000 Quadratkilometer bedecken. Diese Seegraswiesen gehören zu den wertvollsten Lebensgemeinschaften der Erde, wie die Forscher betonen. Sie seien die Grundlage für einen sehr artenreichen Lebensraum, schützten die Küstengebiete des Mittelmeeres für Erosion und seien ein wichtiger Teil des Nährstoffkreislaufs im Meer.
Doch die Neptungräser haben auch ein Handicap: Sie sind eine der am langsamsten wachsenden Pflanzen überhaupt. Nur um rund einen Zentimeter pro Jahr wächst ein Schössling, dafür kann er bis zu 50 Jahre alt werden. Die gesamte Kolonie überdauert sogar Jahrtausende – wenn die Umweltbedingungen stimmen.
Optimistisches Szenario ausgewählt
In ihrer Studie hatten die Forscher die Erwärmung des Mittelmeeres und die damit verbundenen Sterberaten des Neptungrases bis zum Ende dieses Jahrhunderts berechnet. Als Basis verwendeten sie das eher optimistische Prognose-Szenario A1B des Weltklimarats IPCC. Dieses geht davon aus, dass sich zukünftig fossile und erneuerbare Energiequellen die Waage halten und dass sich der Treibhausgasausstoß bis Mitte des nächsten Jahrhunderts stabilisieren wird.
Den Ergebnissen nach wird sich die sommerliche Wassertemperatur im Mittelmeer bis 2100 um rund 3,4 Grad erhöhen. Im Jahresdurchschnitt liegt es bereits oberhalb der 28 Grad, die als kritische Grenze für das Neptungras gelten. Dazu komme noch eine Häufung von extremen Hitzewellen, die das Wasser zusätzlich aufheizen. „Die Seegrasdichte wird dadurch schon in den nächsten 30 Jahren rapide abnehmen“, berichten die Forscher. Bis etwa 2050 wäre nur noch ein Zehntel der heutigen Menge an Schösslingen vorhanden – zu wenig, um die Seegraswiesen am Leben zu erhalten. (doi:10.1038/NCLIMATE1533)
(Nature Climate Change, 22.05.2012 – NPO)