Verzögerter Tiefeneffekt: Die heute vom Ozean aufgenommene Wärme wird bis 2100 die Tierwelt der Tiefsee empfindlich treffen, wie eine Studie belegt. Selbst bei striktem Klimaschutz wird die Tiefseefauna immer schneller wandern müssen, um noch geeignete Wasserbedingungen zu finden. Weil die Wärme nur langsam in die Tiefe dringt, hat schon der heutige Klimawandel eine nicht mehr zurücknehmbare Auswirkung, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Climate Change“ berichten.
Die Ozeane sind der wichtigste Puffer im Klimasystem. Sie absorbieren mehr als 90 Prozent der Wärme, die durch den anthropogenen Treibhauseffekt entsteht und nehmen große Mengen Kohlendioxid auf. Das allerdings geht nicht spurlos an den Meeren vorüber: Schon jetzt häufen sich marine Hitzewellen und Temperaturrekorde, das Wasser wird saurer und immer sauerstoffärmer.
Artenverschiebung als Indikator
Gängiger Ansicht nach sind von diesen Veränderungen bisher vor allem die oberflächennahen Wasserschichten betroffen. Weil der enorme Wasserkörper des Ozeans träge auf Veränderungen reagiert und sich daher CO2 und Wärme nur langsam nach unten hin ausbreiten, galten die tieferen Zonen der Meere als noch weitgehend unberührt.
Ob das stimmt und wie die tieferen Ozeanbereiche auf die Klimaveränderungen reagieren, haben nun Isaac Brito-Morales von der University of Queensland und seine Kollegen untersucht. „Wir haben dafür das sogenannte Klimatempo gemessen – dieses ergibt sich aus der Geschwindigkeit und Richtung, mit der eine Art ihren Standort verändert, wenn es wärmer wird“, erklärt Brito-Morales. Auf Basis von Daten zu gut 16.000 Meerestier-Spezies rekonstruierten die Forscher das Klimatempo der letzten 50 Jahre und simulierten es bis 2100 unter drei verschiedenen Klimaszenarien.
„Das ermöglichte es uns, die Klimageschwindigkeit für vier Tiefenzonen der Ozeane zu ermitteln – und herauszufinden, in welchen Zonen die Meeresbewohner ihre Verteilung am stärksten verändern“, sagt Brito-Morales.
In der Tiefe schneller als oben
Das Ergebnis: Das Klimatempo ist aktuell mit gut zwölf Kilometern pro Dekade im oberflächennahen Ozean relativ hoch und sinkt dann in mittleren Tiefen wie erwartet um rund die Hälfte ab. Doch in der Tiefe kehrt sich dieser Trend wieder um. Dort haben sich die Spezies in den letzten 50 Jahren sogar am schnellsten verlagert: In 1.000 bis 4.000 Meter Wassertiefe um knapp 25 Kilometer pro Dekade, unterhalb von 4.000 Metern sogar um 43 Kilometer pro Dekade, wie die Forscher berichten.
„Die hohen Klimageschwindigkeiten im tiefen Ozean deuten darauf hin, dass die dort lebenden Arten den Auswirkungen der Erwärmung mindestens so stark ausgesetzt sind wie die Oberflächenspezies“, sagen die Wissenschaftler. „Sie könnten daher ein ähnlich hohes Risiko der Ausrottung haben.“ Weil die Bewohner der Tiefsee an gleichbleibende Bedingungen gewöhnt sind, könnten sie zudem schon auf kleine Veränderungen sensibel reagieren.
Beschleunigung bis 2100
Und die Zukunft? Wie die Simulation ergab, wird sich das Tempo der Artenverschiebung in allen Meeresschichten bis 2100 beschleunigen – auch in der Tiefsee. Dort müsste die marine Fauna bei ungebremster Erwärmung bis zu 114 Kilometer pro Dekade wandern, um in geeigneten Bedingungen zu bleiben. Aber auch bei striktem Klimaschutz würde das Klimatempo auf bis zu 76 Kilometer pro Dekade steigen – das entspricht dem Zwei- bis Dreifachen der heutigen Werte.
„Die schon heute vom Ozean absorbierte Wärme wird in Zukunft immer mehr in tiefere Wasserschichten vordringen“, erklärt Koautor Anthony Richardson von der University of Queensland. „Das bedeutet, dass das marine Leben in der Tiefsee einer zunehmenden Bedrohung durch die Erwärmung ausgesetzt ist – fast unabhängig davon, was wir ab jetzt im Klimaschutz tun.“
Ökologisch wichtige Mittelschicht am stärksten betroffen
Noch stärker betroffen als die Tiefsee sind jedoch die mittleren Wassertiefen zwischen 200 und 1.000 Metern: Dort steigt das Klimatempo bei ungebremster Erwärmung von heute nur gut sechs auf 135 Kilometer pro Dekade. Und selbst bei striktem Klimaschutz entsprechend dem IPCC-Szenario RCP 2.6 würde sich das Wanderungstempo der mesopelagischen Arten auf rund 49 Kilometer pro Dekade erhöhen.
„Dies ist ein besonderer Anlass zur Sorge“, betonen Brito-Morales und sein Team. Denn die Fauna dieser Wasserschicht sei für die marinen Ökosysteme besonders wichtig. „Die gewaltige Biomasse der mesopelagischen Fische stützt nicht nur den kommerziellen Fischfang, sie treibt auch die vertikale Verteilung von organischer Materie in tiefere Schichten“, so die Forscher.
„Nur eine Option“
Nach Ansicht von Brito-Morales und seinem Team unterstreichen diese Ergebnisse zum einen, wie weit in die Zukunft die Effekte selbst des heutigen Klimawandels reichen. Das mache es umso wichtiger, eine weitere Erwärmung des Oberflächenwassers zu verhindern, damit künftig nicht noch mehr Wärme in die Tiefe gelangt. Zum anderen zeige dies, dass dringend etwas getan werden müsse, um die Bewohner der Meere schon jetzt besser zu schützen.
„Die Ergebnisse lassen uns nur eine Option“, sagt Richardson. „Wir müssen schnell handeln, um wenigstens die anderen anthropogenen Bedrohungen für die Tiefsee-Fauna abzumildern, darunter das Fischen mit Schleppnetzen oder den Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee.“ (Nature Climate Change¸2020; doi: 10.1038/s41558-020-0773-5)
Quelle: University of Queensland, Hokkaido University