Gefährliche Brandung: An den arktischen Küsten könnten die Wellen künftig um bis zu sechs Meter höher werden – mit fatalen Folgen für Küsten und Bewohner. Denn dadurch mehren sich Überflutungen und Erosion der bisher meist von Meereis geschützten Küsten. Zudem könnten schwere Sturmfluten deutlich häufiger werden, wie eine Klimasimulation ergab. Denn weil das Meereis schwindet, schaukeln sich Winde und Wellen auf dem Nordpolarmeer höher auf.
Die Arktis ist ein Hotspot des Klimawandels. Die Temperaturen steigen, das Meereis schwindet und die eisfreien Gebiete des Nordpolarmeers vergrößern sich. Gleichzeitig verschärfen sich die jahreszeitlichen Unterschiede, das Meereis wird saisonaler. An Land verursacht der tauende und zusammensinkende Permafrost Schäden an Straßen, Gebäuden und anderer Infrastruktur.
Küstenerosion steigt schon jetzt
Jetzt kommt ein weiteres Problem dazu: Die Bewohner der arktischen Küsten müssen in Zukunft mit erheblich größeren Wellen und dadurch mehr Überflutungen und Erosion rechnen, wie Mercé Casas-Prat und Xiaolan Wang von Kanadas Klima-Forschungszentrum in Toronto ermittelt haben. Für ihre Studie nutzten sie fünf Klimamodelle, um die Meeres- und Atmosphärenbedingungen im Zeitraum 1979 bis 2005 zu rekonstruieren sowie eine Prognose für 2081 bis 2100 unter ungebremsten Klimawandel aufzustellen.
Der Fokus der Simulationen lag auf der Entwicklung von Wind und Wellen entlang der arktischen Küsten. Bisher waren sie größtenteils durch breite Meereisflächen geschützt, so dass Brandung und Wassererosion kaum Wirkung hatten. Doch durch das sommerliche Abtauen des Eises beginnt sich dies zu ändern: „Einige Küstenbereiche der Beaufortsee erleben bereits die größten je gemessenen Erosionsraten der Arktis“, berichten die Forscher. „Einige Öl- und Gasanalgen wurden schon beschädigt.“
Bis zu sechs Meter höhere Wellen
Die Simulationen ergaben: Bis Ende des Jahrhunderts müssen fast alle arktischen Küsten mit deutlich höheren Wellen rechnen. Im Schnitt steigt die Wellenhöhe um ein bis drei Meter, einige Meeresbereiche wie die Grönlandsee zwischen Grönland und Spitzbergen müssen sogar mit sechs Meter höherer Brandung rechnen. Insgesamt entspricht dies einer Erhöhung um das zwei- bis dreifache der Werte von 1979 bis 2005, wie Casas-Prat und Wang berichten.
Der Hauptgrund dafür sind die immer größeren offenen Wasserflächen. „Der Meereis-Rückzug spielt eine wichtige Rolle, denn er erhöht die Strecke, die der Wind über die Meeresoberfläche wehen kann und staut die Wellen höher auf“, erklärt Casas-Prat. „Gleichzeitig erhöhen die sich weitenden offenen Stellen die Wahrscheinlichkeit dafür, dass starke Winde entstehen.“
Mehr Stürme und Überflutungen
Parallel dazu steigt auch das Risiko für Extremereignisse mit hohen Sturmwellen und schweren Überflutungen deutlich an: Die Stürme, die bisher im Schnitt einmal alle 20 Jahre an den arktischen Küsten auftreten, könnten ab 2081 alle zwei bis fünf Jahre auftreten, wie die Simulationen ergaben. „Dadurch erhöht sich das Risiko für Überflutungen und Erosion drastisch“, sagt Casas-Prat. Zusätzlich verlagert sich das Auftreten der Stürme weiter in den Herbst hinein und die Windrichtung dreht wegen veränderter Luftdruckverhältnisse stärker nach Norden.
Dieser Wandel beeinflusst auch die verbleibenden Meereisfelder und die Schifffahrt auf dem Nordpolarmeer. Denn der stärkere Wind und die höheren Wellen lassen das Eis schneller zerbrechen und treiben Eisberge weiter nach Süden in die Schifffahrtsrouten hinein. Schon im Jahr 2017 blockierten ungewöhnlich dichte Treibeisflächen vor der arktischen Ostküste Kanadas bis weit in den Sommer hinein die Durchfahrten.
Schwere Zeiten für arktische Kommunen
Am stärksten getroffen von den klimabedingten Veränderungen sind jedoch die Bewohner der arktischen Küstenregionen. Sie müssen mit mehr Sturm- und Flutschäden rechnen und einer stark erhöhten Erosion entlang ihrer Küstenstreifen. „In dieser Hinsicht sind die Küsten der Beaufortsee besonders gefährdet“, sagen Casas-Prat und Wang. Denn dort steigen die Wellenhöhen am stärksten, gleichzeitig sind diese Küsten besonders stark exponiert.
Ebenfalls ein Problem könnte die Trinkwasserversorgung vieler arktischer Küstengemeinden werden. Schon jetzt wird vielerorts das Wasser knapp, weil Seen und Flüsse durch schwindendes Eis und spärlichere Schneefälle immer weniger Wasser führen. „Eine Zunahme der Überflutungen könnte das Risiko einer Salzwasser-Kontamination der Wasserreserven zusätzlich erhöhen, wie beispielsweise in Utqiagvik in Alaska, die ihr Wasser aus einer Süßwasser Lagune beziehen“, erklären die Forscher.
Sollte es nicht gelingen, den Klimawandel einzudämmen, stehen der Arktis und ihren Bewohnern damit in mehrfacher Hinsicht schwere Zeiten bevor. (Journal of Geophysical Research – Oceans, 2020; doi: 10.1029/2019JC015745)
Quelle: American Geophysical Union