Schuld an den kalten und schneereichen Wintern der letzten Jahre ist das schwindende Meereis der Arktis. In Zukunft könnte der Klimawandel deshalb Europa und Nordamerika immer häufiger strenge Winter mit Kälte und Schnee bringen. Das hat ein internationales Forscherteam anhand von Messdaten und Klimasimulationen herausgefunden. Demnach machen die zunehmend freien Wasserflächen im Polargebiet die arktischen Luftmassen wärmer und feuchter und verändern die Atmosphärenströmungen über der Nordhalbkugel. Dies wiederum lässt kalte, schneereiche Luft aus dem Norden bis weit nach Europa und Nordamerika hinein vordringen.
Jeder Rückgang des arktischen Meereises im Herbst um eine Million Quadratkilometer könne zu Temperaturanomalien von zwei bis drei Grad Celsius unter dem Normalwert in Europa, Nordchina und Nordamerika führen, berichten die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
Ungewöhnlich kalte Bedingungen
„In den vier Wintern von 2007 bis 2011 haben Nordamerika, Europa und Nordasien anormal kalte Bedingungen erlebt, verbunden mit Rekordschneefällen“, schreiben Jiping Liu vom Georgia Institute of Technology in Atlanta und seine Kollegen. In der Fachwelt seien dafür mehrere Ursachen vorgeschlagen worden, darunter auch die wiederkehrenden Klimaschwankungen El Nino und die Nordatlantische Oszillation (NAO). Keines dieser Klimaphänomene könne aber die Anomalien aller vier Winter erklären, meinen die Forscher. Deshalb habe man genauer untersucht, welche Rolle die seit 1979 um 29 Prozent geschrumpfte Meereisfläche der Arktis für diese kalten Winter spiele.
Winterliche Kälteeinbrüche und Schneestürme werden häufiger
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass der rapide Verlust des Meereises im Sommer und die verzögerte Erholung der Eisflächen im Herbst nicht nur die durchschnittlichen Temperaturen und Schneefälle im Winter beeinflussen“, sagen die Forscher. Auch Wetterereignisse wie plötzliche Kälteeinbrüche oder Schneestürme würden dadurch häufiger. „Wir spekulieren, dass solche Wetterlagen zukünftig vermehrt auftreten werden.“
Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte der jetzt nachgewiesene Zusammenhang zwischen Meereis und Winterwetter aber auch einen ganz praktischen Nutzen haben: Er mache saisonale Wettervorhersagen einfacher. Anhand der Eisentwicklung im Herbst könne man abschätzen, ob ein Winter mit anormaler Kälte und vielen Schneestürmen drohe.
Meereis- und Klimaentwicklung von 1979 bis 2010 ausgewertet
Für ihre Studie hatten die Forscher Daten zur Meereisentwicklung und Meerestemperatur der Jahre 1979 bis 2010 ausgewertet und mit Klimadaten für die Arktis und für die nördlichen Bereiche Asiens, Amerikas und Europas verglichen. Außerdem simulierten sie den Effekt des Meereisverlusts und der steigenden Meerestemperatur auf die Wetterlagen der Nordhalbkugel mit Hilfe von mehreren Klimamodellen.
Neben einer Erwärmung und höheren Luftfeuchte der arktischen Luftmassen stellten die Forscher auch abnehmende Westwinde über dem Atlantik fest. Das aber verstärke Blockade-Wetterlagen über Sibirien, Alaska und dem Nordwesten der USA, schreiben Liu und seine Kollegen. Dadurch werde kalte Polarluft in die gemäßigten Gebiete Europas, Asiens und Nordamerikas umgelenkt. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2012; doi:10.1073/pnas.1114910109)
(Proceedings of the National Academy of Sciences / dapd, 28.02.2012 – NPO)