Älter als Stonehenge: Auf den schottischen Hebriden konstruierten unsere Vorfahren schon vor mehr als 5.500 Jahren künstliche Inseln in Seen und im Meer, wie Archäologen entdeckt haben. Die runden, bis zu 26 Meter großen Plattformen liegen im flachen Küstenbereich und waren teilweise durch Dämme mit dem Ufer verbunden. Welchem Zweck diese Inseln aus Steinen und Holzbalken dienten, ist rätselhaft. Forscher vermuten jedoch eine rituelle Nutzung.
Künstliche Inseln haben eine lange Tradition: Als Pfahlbauten schufen sie schon in der Eisenzeit neuen Wohnraum, in den Niederlanden dienten sie der Landgewinnung. Bis heute nutzen viele Küstenregionen die Möglichkeit, sich auf das Meer hinaus auszudehnen – ob für einen Flughafen wie in Osaka, Nobeldomizile für Reiche in Dubai oder ganz prosaisch als Bohrinseln zur Förderung von Erdöl oder Erdgas.
Eilande aus Stein und Holz
Doch wann wurden die ersten künstlichen Inseln errichtet? Bisher galten die sogenannten Crannogs in Schottland und Irland als die frühesten Beispiele dafür. Schon um 800 vor Christus begannen die Menschen dort, hunderte Eilande aus Holz und Stein in flachen Seebereichen und Meeresbuchten zu bauen. Bis ins Mittelalter hinein waren diese bis zu 30 Meter großen Inselchen als befestigte Behausung, Werkstatt oder Rückzugsort in Gebrauch.
In den 1980er Jahren dann stießen Archäologen auf der Hebrideninsel North Uist auf einen Crannog, der den Radiokarbondatierungen nach deutlich älter schien. Weil jedoch keine weiteren ähnlich alten Inseln dieser Art entdeckt wurden, blieb das Alter dieses Eilean Domhnuill genannten Crannogs umstritten.
Fast 3.000 Jahre älter als bisher bekannte Crannogs
Jetzt jedoch haben Duncan Garrow von der University of Reading und Fraser Sturt von der University of Southampton auf der Hebrideninsel Lewis drei weitere Crannogs entdeckt, die deutlich älter sind als alle bisher bekannten. „Der Fund zahlreicher Keramikgefäße vom umgebenden Seegrund lieferte die ersten Indizien ihres neolithischen Ursprungs“, berichten die Archäologen. Bei Ausgrabungen auf den Inseln stießen sie auf weitere jungsteinzeitliche Relikte.
Datierungen ergaben, dass diese Funde aus der Zeit um 3640 bis 3360 vor Christus stammen. Damit sind diese künstlichen Inseln tausende Jahre älter als alle bisher bekannten Crannogs. „Diese Fundstellen demonstrieren, dass Crannogs offenbar schon in der Jungsteinzeit verbreitet waren“, konstatieren Garrow und Sturt. Sie vermuten, dass auch andere künstliche Inseln in Schottland und Irland aus dieser Zeit stammen könnten. Denn längst nicht alle sind bisher datiert oder genauer untersucht.
„Enormer Arbeitsaufwand“
„Diese Inseln sind eindeutig menschengemacht, indem Steinblöcke auf dem Seegrund aufgetürmt wurden, um künstliche Inseln zu erschaffen“, erklären die Archäologen. „Diese Inseln waren vermutlich an drei Seiten von flacherem Wasser umgeben und an der vierten von tieferem.“ Eine der Inseln ist zusätzlich mit Holzbalken verstärkt, die die Konstruktion auf der Seeseite gegen ein Abrutschen schützen.
„Um diese Inseln zu errichten, war ein enormer Arbeitsaufwand nötig“, erklären die Forscher. Die neolithischen Crannogs sind rund, zwischen knapp 20 und 26 Metern groß und besitzen eine flache, nahezu ebene Oberseite. Eine dieser Inseln ist über einen steinernen Dammweg mit dem Seeufer verbunden. Die anderen könnten einst über einen Holzsteg zugänglich gewesen sein oder mit dem Boot angesteuert worden sein, wie Garrow und Sturt berichten.
Steinzeitliche Ritualorte?
Wozu aber dienten diese künstlichen Eilande? Bisher ist der Zweck der neolithischen Crannogs rätselhaft, wie die Archäologen einräumen. Rund um die Inseln herum haben sie zahlreiche Keramikgefäße am Seegrund entdeckt, die damals offenbar in intaktem Zustand ins Wasser geworfen worden waren. Rußspuren zeigen, dass diese Töpfe zuvor dem Feuer ausgesetzt waren und demnach benutzt wurden – wozu, ist jedoch unklar.
„Solche Inseln könnten spezielle Orte gewesen sein, die für soziale Zusammenkünfte, rituelle Feste oder andere gesellschaftliche Anlässe genutzt wurden“, mutmaßen die Archäologen. „Die Wasserumgebung symbolisierte eine Trennung vom Alltagsleben und der Prozess der Überfahrt oder des Übergangs auf diese Inseln könnte diese Trennung betont haben.“ Daher liege es nahe, dass auch die Ereignisse, die auf diesen Inseln stattfanden, aus dem Alltag herausgehoben waren.
Parallelen zu Ganggräbern
„Die Aktivitäten auf diesen Inseln könnten denen ähnlich gewesen sein, die anderswo auf den Hebriden an Gräbern stattfanden“, sagen die Forscher. Denn mit ihren schmalen Stegen oder Dammwegen ähnelte der Übergang auf eine solche Insel der Passage durch den Tunnel eines neolithischen Ganggrabes. „Es ist daher sogar möglich, dass diese Inseln mit Begräbnisriten verknüpft waren“, so Garrow und Sturt.
Auch wenn der Zweck dieser künstlichen Inseln vorerst im Dunkeln bleibt, belegen die neuen Funde, dass unsere Vorfahren schon weit früher als bisher gedacht solche Bauwerke schufen. „Wir erwarten mit Spannung, was die Untersuchungen und Ausgrabungen weiterer Crannogs in den Äußeren Hebriden und darüber hinaus zutage fördern werden“, konstatieren die Archäologen. „Denn die auf den Crannogs von Lewis entdeckten Praktiken und Merkmale zwingen uns, unsere Vorstellungen zu neolithischen Siedlungen, Monumentalität und Bauten zu überdenken.“ (Antiquity, 2019; doi: 10.15184/aqy.2019.41)
Quelle: Antiquity