Kühe und andere Huftiere haben einen besonderen Sinn für Himmelsrichtungen. Sie stehen nicht kreuz und quer auf der Weide, sondern richten sich beim Grasen bevorzugt in magnetischer Nordsüdrichtung aus – und dies weltweit. Diese überraschende Erkenntnis machten Wissenschaftler beim Auswerten von Satellitenbildern in Google Earth.
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Seit Jahrhunderten beobachten Bauern, dass ihre Rinder und Schafe nicht nur Herden bilden, sondern auch dazu neigen, sich beim Grasen nahezu alle in die gleiche Richtung auszurichten. Populäre Erklärungen dafür hängen meist mit dem Wetter zusammen: Sie wenden morgens ihre Seiten der Sonne zu um sich aufzuwärmen oder kehren dem schneidenden Wind den Rücken. Allerdings gibt es auch Situationen, in denen keiner der beiden Faktoren wirken kann, nachts oder bei mildem, ruhigem Wetter. Was also bringt sie dann dazu, sich so einheitlich auszurichten?
Google Earth als Forschungshilfe
Eine neue Erklärung könnte jetzt eine ungewöhnliche Studie von Wissenschaftlern der Universität Essen-Duisburg liefern. Die Zoologen Sabine Begall, Hynek Burda und Julia Neef nutzten die gute Auflösung von Google Earth, um die Ausrichtung von mehr als 8.500 Kühen auf 308 Weiden aus nahezu allen Kontinenten per Satellitenbild zu studieren. Ihre Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschienen.
Grasen in Nord-Süd-Ausrichtung
Das erstaunliche Ergebnis: Rund um den Globus richten Kühe ihre Körperachse zum Grasen oder Ruhen in etwa nordsüdlich aus. Inspiriert von dieser Erkenntnis untersuchten tschechische Kollegen der Agrar-Universität Prag und des National-Parks Böhmerwald die Körperachsenausrichtung von Reh- und Rotwild. Sie beobachteten die Tiere direkt oder vermaßen die im Schnee hinterlassenen Körperabdrücke (so genannte Betten im Jäger-Jargon). Es ergab sich ein ähnliches Bild wie bei den Rindern, denn auch Rehe und Hirsche scheinen eine nordsüdliche Richtung zu bevorzugen.
Magnetfeld als Richtungsgeber?
Sonne und Wind konnten als mögliche Faktoren ausgeschlossen werden, da diese zum einen nicht die Einheitlichkeit der Richtung weltweit erklären, zum anderen auch nicht immer an allen Orten vorhanden waren. Daher kam das deutsch-tschechische Forscherteam zu dem Schluss, das zwar schwache, jedoch allgegenwärtige Magnetfeld der Erde habe einen Einfluss auf die Richtungspräferenz der Wiederkäuer.
Sie testeten diese Hypothese, indem sie Satellitenbilder von Orten mit besonders hoher positiver wie auch negativer Deklination, der Abweichung des magnetischen vom geographischen Pol, auswerteten. Es zeigte sich, dass die Richtungspräferenz tatsächlich weitaus besser mit der magnetischen Nordrichtung übereinstimmte als mit der geographischen.
Funktion noch unklar
Wozu die Tiere allerdings diesen „6. Sinn“ im Laufe der Evolution entwickelten, muss nun in weiteren Forschungsprojekten untersucht werden. Eines ist jedoch schon heute klar: Jäger und Bauern scheinen die Nordsüdausrichtung ihrer Tiere über Jahrtausende hinweg nie bemerkt zu haben – oder sie vergaßen, die Fachwelt darüber zu informieren.
(Universität Essen-Duisburg, 27.08.2008 – NPO)