Umwelt

Kunststoffmüll treibt sogar in der Arktis

Müllzählung im Nordmeer deutet auf neuen Müllstrudel hin

Plastiktüte am Grund der Framstraße, aufgenommen von einer robotischen Kamera in 2.500 Meter. Tiefe. © M. Bergmann / Alfred-Wegener-Institut

Abfall bis in die entlegensten Winkel der Erde: Plastikmüll treibt mittlerweile sogar auf dem wenig befahrenen arktischen Meer. Der an der Oberfläche treibende Abfall deutet Meeresbiologen zufolge auf ein viel größeres Problem hin: Die Tiefsee wird zum Endlager für unser Plastik. Fast jeder untersuchte Vogel und auch viele Haie haben Plastikmüll im Magen, schreiben die Forscher im Journal „Polar Biology“.

Plastikmüll verdreckt die Weltmeere immer stärker: Alles, was wir nicht ordentlich entsorgen, wird früher oder später in die Ozeane gespült. An praktisch jeder Küste finden sich mittlerweile Mengen von Kunststoffabfällen und gefährden die Tierwelt. Aber auch fernab der Küsten, im offenen Ozean und in der Tiefsee landet unser Müll. Meeresströmungen tragen das langlebige Plastik auch in die entferntesten Winkel – selbst bis in die Arktis reicht der Müllstrom.

„Untertreibung des tatsächlichen Müllbestandes“

Um das Ausmaß der Verschmutzung nördlich des Polarkreises zu messen, fuhren Wissenschaftler um Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven mit dem Forschungseisbrecher Polarstern in die Framstraße, das Meeresgebiet zwischen Grönland und Spitzbergen. Von Bord des Schiffes und vom Helikopter aus suchte das Team im Juli 2012 nach Müllteilen, die an der Wasseroberfläche trieben. Diese „Müllwache“ hielten die Forscher über eine Fahrt- und Flugstrecke von insgesamt 5.600 Kilometern durch. „Insgesamt haben wir 31 Müllteile entdeckt“, berichtet Bergmann.

Diese Zahl klingt im ersten Moment klein. Dass in der entfernten Arktis aber überhaupt Müll an der Wasseroberfläche zu finden ist, deutet auf ein größeres Problem hin: „Da wir die Zählungen von der Schiffsbrücke aus, also 18 Meter über der Meeresoberfläche, beziehungsweise von Bord eines Hubschraubers gemacht haben, haben wir natürlich in erster Linie großes Treibgut erfasst“, sagt die Meeresbiologin. „Unsere Zahlen sind deshalb aller Wahrscheinlichkeit nach eine Untertreibung des tatsächlichen Müllbestandes.“ Plastikabfälle zerfallen nämlich bekanntermaßen in zentimetergroße Bruchstücke, wenn sie länger im Meer treiben.

Neuer Müllstrudel in der Arktis?

Die gezählten Kunststoffreste in der Framstraße könnten aus einem neuen Müllstrudel stammen, der sich Computermodellen zufolge seit einigen Jahren in der Barentssee nördlich Norwegens und Russlands bildet. Solche auch als „Garbage Patches“ (Müllflecken) bezeichneten Müllstrudel entstehen, wenn viele der im Wasser treibenden Plastikteile von großen kreisenden Meeresströmungen eingefangen werden und sich im Zentrum dieser Wirbel konzentrieren.

Fünf solcher Müllwirbel sind bisher weltweit bekannt. Der sechste in der Barentssee entsteht wahrscheinlich gerade. In ihm, so vermutet Bergmann, sammelt sich der Müll aus den dicht besiedelten Küstenregionen Nordeuropas. „Es ist denkbar, dass ein Teil dieses Abfalls dann weiter nach Norden und Nordwesten bis in die Framstraße treibt“, erklärt die Biologin.

Eissturmvogel bei Spitzbergen © Wikimedia Commons / Daniele1357 (CC BY-SA 3.0)

„Eine andere Ursache für die Müllfunde in der Arktis könnte der Rückgang des arktischen Meereises sein, wodurch immer mehr Fischtrawler, dem Kabeljau folgend, weiter nach Norden vorstoßen“, so die Wissenschaftlerin weiter. „Vermutlich gelangt von den Schiffen Müll absichtlich oder aus Versehen in die arktischen Gewässer. Wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt.“

Endlager Tiefsee

Bereits einer früheren Studie hatte Bergmann Fotoaufnahmen vom arktischen Meeresboden nach Plastik-, Glas- und anderen Abfallresten durchsucht. Dabei stellte sie fest, dass auch in der Tiefsee die Müllmenge in den vergangen Jahren zugenommen hat. Die Mülldichte ist am Meeresboden der Framstraße sogar 10 bis 100 mal höher als an der Wasseroberfläche.“Für uns ist das ein Indiz dafür, dass der Müll letztlich auf den Meeresboden sinkt und sich in der Tiefsee wie in einem Endlager sammelt“, erläutert die Biologin.

Problematisch ist der treibende Müll in der Arktis insbesondere für Seevögel, die sich von Beute ernähren, die ebenfalls an der Wasseroberfläche schwimmt oder treibt. Das gilt insbesondere für Eissturmvögel, die zeitlebens auf hoher See bleiben. Aktuelle Untersuchungen aus dem Isfjord auf Spitzbergen zeigen, dass 88 Prozent der untersuchten Eissturmvögel Plastikteile verschluckt hatten. Und selbst Grönlandhaie verschlucken den Plastikabfall. So haben Forscher in den Mägen von bis zu acht Prozent der südlich von Grönland gefangenen Haie Plastikmüll gefunden. (Polar Biology, 2015; doi: 10.1007/s00300-015-1795-8)

(Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, 23.10.2015 – AKR)

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