Geowissen

Längste Rutschung der Welt entdeckt

Anfang 2020 raste eine Untersee-Sedimentlawine gut 1.100 Kilometer weit in den Atlantik hinaus

submariner Kongo-Canyon
Der unterseeische Kongo-Canyon reicht von der Kongomündung bis in die Tiefsee. Dort ereignete sich im Januar 2020 die längste Rutschung der Erde. © NASA World Wind/ Mikenorton, CC-by-sa 3.0

Irdischer Rekord: Im Januar 2020 ereignete sich vor der Küste Westafrikas die längste je auf der Erde beobachtete Rutschung. Von der Mündung des Kongo-Flusses raste ein Sedimentstrom den vorgelagerten Untersee-Canyon hinunter in die Tiefsee – und erreichte dabei eine Länge von 1.100 Kilometern. Keine andere irdische Rutschung – ob Schneelawine, Lavastrom oder Erdrutsch – reichte bisher so weit. Die bis zu 2.650 Millionen Tonnen Sediment umfassende Untersee-Lawine riss Sensoren aus der Verankerung und kappte Seekabel.

Ob Erdrutsche, Felsstürze, Lavaströme oder Lawinen aus Schlamm und Schnee: Überall dort, wo die Erdoberfläche ein Gefälle hat, können sich Rutschungen lösen – auch unter Wasser. Typische Auslöser unterseeischer Rutschungen sind Ausbrüche von Unterwasser-Vulkanen, Tsunamis oder Gasausbrüche aus Methanhydraten im Meeresgrund. Auch in Unterwasser-Canyons – tief in die Kontentalhänge eingeschnittene Schluchten, die bis in die Tiefsee hinausreichen – können Rutschungen entstehen.

Sediment-Rutschung
Rutschungen in Unterwasser Canyons spielen eine wichtige Rolle für den Sedimenttransport in die Tiefsee. © NOAA

Untersee-Schlucht vor der Kongomündung

Die längste bekannte Rutschung auf unserem Planeten hat nun ein Forschungsteam um Peter Talling von der Durham University in England identifiziert – durch Zufall. Denn im Rahmen einer Studie zu Sedimentbewegungen in Untersee-Canyons hatten sie im Jahr 2019 mehrere Messbojen entlang des submarinen Kongo-Canyons verankert. Diese unterseeische Schlucht beginnt an der Mündung des Kongo und reicht 280 Kilometer weit bis in die Tiefsee des Südatlantik. Stellenweise sind die Wände des bis zu neun Kilometer breiten Canyons 1.100 Meter hoch.

Schon länger ist bekannt, dass sich in solchen Untersee-Schluchten immer wieder Sediment löst und hangabwärts strömt. Riesige Sedimentdeltas vor den Enden solcher Canyons zeugen von diesem Materialtransport. „Solche Suspensionsströme spielen global eine wichtige Rolle für die Bindung terrestrischen organischen Kohlenstoffs“, erklären Talling und sein Team. Denn sie transportieren von den Flüssen ins Meer geschwemmtes Material auf den tiefen Meeresgrund.

Gleichzeitig können solche Unterseelawinen aber auch eine zerstörerische Wucht entfalten, die beispielsweise Unterseekabel beschädigen oder zerreißen kann.

Sedimentlawine zerreißt Unterseekabel

Genau dies passierte am 14. bis 16. Januar 2020: Ausgelöst durch die heftigsten Überschwemmungen entlang des Kongo seit den 1960er Jahren wurde besonders viel Sediment vom Kongo ins Meer geschwemmt – und löste eine Untersee-Lawine aus. Der gewaltige Sedimentstrom raste den Kongo-Canyon hinab, riss dabei alle elf Messbojen aus ihrer Verankerung und durchtrennte zwei Unterseekabel. Als Folge waren Internetverbindungen an der gesamten Westküste Afrikas bis nach Südafrika stark gestört und verlangsamt.

Wie gewaltig diese Untersee-Rutschung war, zeigte sich jedoch erst, als die Forschenden neun ihrer im Ozean driftenden Sensorbojen wiederfinden konnten. „Die Chance, diese nur fußballgroßen Sensoren zu finden, war winzig, weil sie von Meeresströmungen getrieben hunderte Kilometer weit in verschiedene Richtungen gedriftet waren“, berichtet Talling. Aber dank einer großangelegten Suchaktion, an der sich auch private und kommerzielle Schiffe beteiligten, konnte das Team die Bojen samt ihren wertvollen Daten bergen.

Die längste Rutschung der Welt

Die Auswertung der Sensordaten enthüllte: Die submarine Sedimentlawine raste mit einer Geschwindigkeit von bis zu acht Meter pro Sekunde die Kongo-Schlucht hinunter. Ihre Bahn reichte von der Kongomündung bis weit in die Tiefsee des Südatlantik hinaus. Die Lawine kam erst in 4.500 Meter Tiefe zum Stillstand und war insgesamt 1.130 Kilometer lang. „Dies ist der längste Sedimentstrom, der je gemessen wurde – und die längste irdische Rutschung von Geröll, Schnee oder Lava überhaupt“, erklären die Geowissenschaftler.

Zum Vergleich: Der längste bekannte Erdrutsch auf dem Land ereignete sich nach dem Ausbruch des Vulkans Mount St. Helens in den USA, er reichte 2,8 Kilometer weit. Die längste zuvor bekannte Untersee-Lawine war das „Great Banks Turbidity Event“ im Jahr 1929 im Nordwest-Atlantik, bei der ein Sedimentstrom rund 200 Kilometer weit den Kontinentalhang vor dem Neufundlandschelf hinabstürzte. Die Rutschung vom Januar 2020 transportierte zudem bis zu 2.650 Millionen Tonnen Sediment in die Tiefe – das entspricht gut einem Drittel der jährlichen Sedimentfracht aller irdischen Flüsse zusammen, wie die Forschenden erklären.

Ablauf
Der Mechanismus submariner Sediment-Lawinen: Zunächst füllen viele kleinere Sedimentströme den oberen Teil des submarinen Canyons auf. In den selteneren großen Rutschungen rast dann diese angestaute Masse hangabwärts in die Tiefsee. © Talling et al./ Nature Communications, CC-by 4.0

Mega-Rutschung in zwei Schritten

„Diese bemerkenswerten Daten liefern die ersten direkten Messungen eines so großen und starken Stroms“, sagt Koautor Mike Clare vom National Oceanography Centre (NOC) in Southampton. „Wir haben nun ein besseres Verständnis dazu, wie solche Ereignisse ausgelöst werden und auch über die Risiken, die sie für Infrastruktur am Meeresgrund darstellen.“ Denn aus der Studie geht detailliert hervor, wie Überschwemmungen in Flüssen solche Untersee-Lawinen auslösen.

„Viele kleinere Schlamm-Einströme füllen zunächst den oberen Teil des Canyons mit Sediment auf – diese Ströme sind dort in rund einem Drittel der Zeit aktiv“, berichten die Forschenden. „Weit stärkere und seltenere große Rutschungen reißen dann große Volumen dieses Sediments vom Canyon-Grund mit sich.“ Hat sich im oberen Teil der submarinen Schlucht genügend Sediment angesammelt, kann dann schon die zusätzliche Sedimentfracht eines mittleren Hochwassers reichen, um eine solche große Lawine auszulösen.

„Diese Studie liefert damit auch den bisher klarsten Beleg dafür, dass Flusshochwasser direkt und schnell auch die Tiefsee beeinflussen können“, konstatieren die Forschenden.

Wichtige Daten auch für künftige Seekabel

Von Bedeutung sind die neuen Erkenntnisse aber auch für die globale Kommunikation: „Unterseekabel transportieren heute mehr als 99 Prozent aller globalen Daten und bilden so das Rückgrat unseres Alltags“, erklären Talling und seine Kollegen. „Normalerweise werden Kabeltrassen so gewählt, dass sie Untersee-Canyons vermeiden, aber das ist nicht immer möglich. Ein Schlüsselfaktor ist dann, wie weit vor der Küste sie verlegt werden sollten.“ Entscheidend dafür ist wiederum, wie weit potenziell zerstörerische Untersee-Rutschungen reichen.

Die große Rutschung vom Januar 2020 demonstrierte in diesem Zusammenhang nicht nur, dass solche Sedimentströme weiter ins Meer hinaus reichen können als gemeinhin angenommen. Aus den Daten geht auch hervor, dass wo in der Topografie der Canyons potenziell sicherere, geschützte Bereiche liegen, in denen Seekabel auch bei großen Rutschungen unversehrt bleiben können, wie das Team erklärt. Das könnte bei künftigen Kabelinstallationen helfen. (Nature Communications, 2022; doi: 10.1038/s41467-022-31689-3)

Quelle: UK Research and Innovation

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