Geowissen

Landschaft unter dem Thwaites-Gletscher kartiert

Untergrund des antarktischen Gletschers gibt Hinweise auf sein künftiges Verhalten

Seismische Messungen auf dem Thwaites-Gletscher
Mithilfe spezieller Vibrationsplatten haben Forschungsteams den Untergrund unter dem antarktischen Thwaites-Gletscher seismisch vermessen und kartiert. © Olaf Eisen/ AWI

Schroffe Gipfel, tiefe Seen und ebenes Terrain: Eine Forschungsexpedition hat erstmals den Untergrund unter dem antarktischen Thwaites-Gletscher kartiert – dem breitesten Gletscher der Erde. Die Kartierung enthüllt, dass sich unter dem 800 bis 1.200 Meter dicken Eis eine abwechslungsreiche Landschaft mit sowohl bremsenden wie glatten Abschnitten verbirgt. Auch 100 Meer tiefe Seen finden sich unter dem riesigen Eisstrom. Die Kenntnis dieser subglazialen Landschaft hilft nun dabei, die Zukunft des Thwaites-Gletschers genauer abzuschätzen.

Der Thwaites-Gletscher in der Westantarktis ist einer der größten Eisströme dieser Region und der breiteste Gletscher der Erde: Seine in die Amundsensee mündende Front ist 120 Kilometer breit. Entsprechend groß ist der Einfluss des gigantischen Eisstroms: Schon jetzt ist der Eisverlust nur dieses einen Gletschers für rund vier Prozent des globalen Meeresspiegelanstiegs verantwortlich. Die Zunge des Thwaites-Gletschers ist zudem von warmem Tiefenwasser unterhöhlt und von Rissen durchzogen.

Würde der Thwaites-Getscher komplett abtauen, würden die Pegel weltweit um 65 Zentimeter ansteigen. Entsprechend wichtig ist es, die weitere Entwicklung dieses Eisriesen möglichst genau einschätzen zu können.

Gletscherzunge des Thwaites-Eisstroms
Blick auf die Zunge des Thwaites-Gletschers von Flugzeug aus. © NASA

Mit Rüttelplatten und Radar

Deshalb hat ein Forschungsteam der „International Thwaites Glacier Collaboration“ (ITGC) den Thwaites-Gletscher in den letzten beiden Jahren intensiv vor Ort untersucht. Im Fokus stand dabei vor allem die Kartierung des Gletscherbetts – der Landschaft, die unter dem Eisstrom liegt. Ihre Form und Eigenschaften des Untergrunds des antarktischen Thwaites-Gletschers beeinflussen, wie schnell sich der Gletscher zurückziehen und zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen wird.

Während zweier Feldexpeditionen brachten Schneeraupen und Flugzeuge die Forschenden von den mehr als 1.600 Kilometer entfernten britischen und US-Polarstationen Rothera und McMurdo zum Thwaites-Gletscher. Vor Ort nutzte das Team spezielle Rüttelplatten, um den Untergrund seismisch zu durchleuchten. 480 Geophone zeichneten die Wellen auf, die vom Eis und dem darunter liegenden Untergrund Eis reflektiert wurden. Zusätzlich kartierten die Forschenden den subglazialen Untergrund mittels hochauflösender Radarmessungen.

Schroffe Felsen und glatte Ebenen

Das Ergebnis ist die erste präzise Karte der Landschaft unter dem Thwaites-Gletscher. Sie bietet erstmals Einblicke darin, wie der Untergrund dieses Eisstroms beschaffen ist. „Die Kenntnis der Eigenschaften des Bettes, über das der Thwaites-Gletscher fließt, war die wichtigste Information, die fehlte, um die Vorhersage zu verbessern, wie schnell er in Zukunft Eis verlieren wird“, erklärt Robert Larter vom British Antarctic Survey. „Die neuen Ergebnisse beginnen, diese Lücke zu schließen.“

Konkret enthüllte die Kartierung eine abwechslungsreiche subglaziale Landschaft: Es gibt relativ flache und von glatten, weichen Sedimenten geprägte Regionen von einigen Kilometern Länge. Solche subglazialen Ebenen erleichtern das Gleiten des Gletschers auf dem Untergrund und bilden daher „Rutschbahnen“ für den Eisstrom. Dazwischen liegen jedoch immer wieder auch Abschnitte mit rauem, von hartem Grundgestein geprägten Terrain, in dem bis zu hunderte Meter hohe Hügel und Klippen aufragen. Diese wirken wie Bremsen für den Eisfluss.

Überraschend auch: Unter einigen Teilen des Thwaites-Gletschers entdeckte das Team subglaziale Seen, die bis zu 100 Meter tief waren.

Hinweise auf die Gletscherdynamik

„Das ist das erste Mal, dass wir ein so klares Bild von einem so großen Teil des Untergrundes bekommen“, sagt Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut. „Dies hat große Auswirkungen auf die Modellierung der Eisflussdynamik und auf das Verständnis, wie viel der Thwaites-Gletscher zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen könnte, was sich auf die Küstengemeinden auf der ganzen Welt auswirken wird, insbesondere in der nördlichen Hemisphäre.“

So zeigen die neuen Messungen, dass der Gletschergrund im noch von Eis bedeckten Gebiet ähnlich aussieht wie in dem schon freigetauten Bereich vor der Gletscherzunge. „Neue seismische Daten, die vor der Küste gesammelt wurden, bestätigen die starken Ähnlichkeiten“, sagt Larter. Auch dies könnte Rückschlüsse auf die künftige Mobilität und Anfälligkeit des Gletschers erlauben.

Mal weich, mal hart

Die seismischen Aufnahmen enthüllten zudem auffällige Strukturen innerhalb des Gletschereises. Diese sogenannten englazialen Reflexionen finden sich vor allem in den Bereichen des Thwaites-Eisstroms, unter denen der Untergrund rauer ist. Dies deutet darauf hin, dass sich das Eis über diesen rauen Teilen des Gesteins stärker verformt und die Eiskristalle sich dort an den herrschenden Spannungen ausrichten. Dadurch ist das Gletschereis in einer Richtung weicher als in der anderen. Auch dies müssen künftige Eisfließmodelle berücksichtigen. (European Geosciences Union (EGU) meeting 2024)

Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), British Antarctic Survey (BAS)

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