Bedenkliche Kontamination: Die Bewohner des römischen Londinium litten offenbar an einer erheblichen Bleivergiftung, wie nun Skelettanalysen belegen. Demnach waren die Bleiwerte in ihren Knochen 70 Mal höher als noch in der vorrömischen Zeit – hoch genug, um gesundheitliche Folgen nach sich zu ziehen. Woher das Blei allerdings kam, ist offen. Denn im Gegensatz zu anderen römischen Städten hatte Londinium kaum Wasserleitungen aus Blei, wie die Forscher berichten.
Die Römer sind nicht nur für ihre Eroberungsfeldzüge berühmt, sie machten auch bedeutende Fortschritte in der Architektur und Baukunst. So ist die Stabilität des römischen Betons bis heute unerreicht und die Wasserversorgungssysteme römischer Großstädte waren kaum weniger ausgeklügelt und leistungsfähig wie die heutigen. Allerdings hatten diese Systeme eine Schattenseite: Das Trinkwasser in vielen römischen Städten war stark mit Schwermetallen wie Antimon und Blei verseucht.
Stark erhöhte Bleiwerte
Jetzt haben Archäologen Hinweise darauf entdeckt, dass auch die Bewohner des antiken London unter einer Bleivergiftung litten. Für ihre Studie hatten Sean Scott von der University of Wisconsin-Madison und seine Kollegen die Beinknochen von 30 zur Römerzeit in London bestatteten Toten näher untersucht. Sie datierten die Gebeine mittels Radiokarbondatierung und analysierten den Gehalt an Schwermetall-Isotopen. Diese Werte verglichen sie mit denen von 70 Toten aus der Zeit vor der Ankunft der Römer.
Das Ergebnis: „Die römischen Bewohner Londiniums waren Bleiwerten ausgesetzt, die die der vorhergehenden Populationen weit übertrafen“, berichten die Forscher. In den Knochenproben fanden sie Bleikonzentrationen von acht bis 123 Mikrogramm pro Gramm Knochenmaterial. Dies sei im Mittel das 70-Fache der vorrömischen Werte. Aus den Isotopenanalysen geht zudem hervor, dass dieses Blei von den antiken Londonern zu Lebzeiten und vor Ort aufgenommen wurde.
Unfruchtbarkeit und Fehlgeburten
„Diese Daten belegen eindeutig, dass die römischen Bewohner von Londinium einer erhöhten Bleibelastung ausgesetzt waren“, konstatieren die Wissenschaftler. „Das stimmt gut mit früheren Hinweisen auf eine weit verbreitete Bleibelastung in römischen Städten überein.“ Auch die Londoner der Antike könnten demnach ähnlich wie die Bewohner Roms an einer schleichenden Bleivergiftung gelitten haben.
Die in den Knochen gemessenen Werte waren sogar so hoch, dass Scott und sein Team gesundheitliche Folgen nicht ausschließen. Ihren Berechnungen nach hatten viele Bewohner Londiniums damals Bleikonzentrationen im Blut, die heute vom US-Institut für Arbeitsschutz bereits als giftig eingestuft werden. Als Folge könnten die betroffenen Männer unter verringerten Spermienzahlen und die Frauen unter vermehrten Früh- und Totgeburten gelitten haben.
Das Trinkwasser war nicht schuld
Doch woher kam das Blei? Aus Ausgrabungen weiß man, dass es im antiken Londinium kaum Wasserleitungen aus Blei gab. Das Trinkwasser scheidet damit als Quelle der Bleikontamination weitgehend aus. „Es gab wahrscheinlich nicht nur eine Hauptquelle der Kontamination“, erklären Scott und sein Team. „Stattdessen ging die hohe Belastung wahrscheinlich auf verschiedene weit verbreitete Gebräuche in der Londoner Gesellschaft der Römerzeit zurück.“
So war es beispielsweise üblich, Bleiglasuren für Trinkgefäße zu verwenden. Wenn aus solchen Gefäßen dann Wein oder andere säurehaltige Getränkte getrunken wurden, konnte sich das Schwertmetall aus der Glasur lösen. Eine weitere Quelle könnte der „Bleizucker“ gewesen sein, mit dem der Wein in der Antike oft gesüßt wurde – denn dieser Zuckerersatz bestand aus purem Bleiacetat. (Archeometry, 2019; doi: 10.1111/arcm.12513)
Quelle: Chemistry World; Archeometry