Erratisches Verhalten: Der magnetische Nordpol wandert schneller als erwartet Richtung Osten. Deshalb musste nun das globale Referenzmodell des Erdmagnetfelds vorzeitig angepasst werden – zum ersten Mal in der Geschichte. Warum sich das Magnetfeld momentan so ungewöhnlich verhält, ist allerdings unklar. Wichtig ist das Referenzmodell vor allem für die Navigation von Flugzeugen und Schiffen, aber auch das Militär.
Das Erdmagnetfeld ist nicht statisch – im Gegenteil. Seine Intensität schwankt im Laufe der Zeit ebenso wie die Lage der magnetischen Pole. Schon die frühen Seefahrer stellten fest, dass die Nordrichtung der Kompassnadel und der geografische Norden nicht übereinstimmten – und dass sich diese Deklination zudem veränderte. Der Grund: Der magnetische Nordpol driftet seit fast 200 Jahren immer weiter nach Osten. Seit 1831 ist er um fast 2.300 Kilometer von der kanadischen Arktis Richtung Sibirien gewandert.
Neues Referenzmodell alle fünf Jahre – normalerweise
Um diese Veränderungen abzubilden, erstellen Geophysiker seit 1965 alle fünf Jahre ein Referenzmodell, das World Magnetic Model (WMM). Dieses bildet die jeweils aktuelle Deklination und die Intensität des Magnetfelds für alle Regionen weltweit ab. Mit Hilfe dieser Angaben werden Navigationshilfen wie Kompasse und andere magnetgestützte Anwendungen geeicht. Auch die Startbahnen von Flughäfen werden nach ihrer Ausrichtung zum magnetischen Norden nummeriert.
Eigentlich wäre eine neue Version dieses Magnetfeldmodells erst 2020 fällig gewesen, denn die letzte Ausgabe gab es 2015. Doch inzwischen verhält sich das Magnetfeld so erratisch, dass nun schon am 30. Januar 2019 ein neues Modell erstellt werden musste – ein Jahr zu früh. Es ist das erste Mal, dass eine solche vorzeitige Modellanpassung nötig wird.
Polwanderung beschleunigt
Nötig wird dies wegen des erratischen Verhaltens des Erdmagnetfelds und vor allem des magnetischen Nordpols: 2015 bewegte sich der Nordpol mit rund 48 Kilometer pro Jahr Richtung Osten, damals schien sich die Ostdrift sogar zu verlangsamen. Doch schon kurze Zeit später enthüllten Messungen, dass sich die Polwanderung auf 55 Kilometer pro Jahr beschleunigt hat. Inzwischen hat der Nordpol bereits die Datumsgrenze passiert und liegt nun auf der Osthalbkugel.
„Die Missweisung in der Arktis nahm dadurch schneller zu als wir erwartet haben“, erklärte Arnaud Chulliat von University of Colorado gegenüber Nature News. Hinzu kommt, dass sich auch eine Magnet-Anomalie unter dem Südatlantik in den letzten Jahren verstärkt hat. Beide Veränderungen zusammen machten die Abweichung vom offiziellen Referenzmodell so groß, dass gehandelt werden musste.
Turbulenzen im Erdkern
Doch was ist die Ursache für diese Anomalien? Forscher vermuten den Grund im äußeren Erdkern – dem Motor des Geodynamos. Dort strömt ein flüssiges Eisen-Nickel-Gemisch um den festen inneren Kern und erzeugt dadurch das elektromagnetische Feld, auf dem das Erdmagnetfeld beruht. Bereits 2012 enthüllten Messungen, dass sich die Magnetachse im Erdinneren stark nach Osten verschoben hat.
Hinzu kommt, dass sich die Strömungen im äußeren Erdkern ständig verändern. So entdeckten Forscher im Jahr 2015 eine Art „Jetstream“ im flüssigen Metallbad, der dreimal schneller als der Rest um den Nordpol kreist. 2016 enthüllten Messungen eine regionale Beschleunigung des Eisenflusses unter dem Norden Südamerikas und einen Jet aus flüssigem Eisen unter Kanada. Letzteres könnte die Drift des Magnetpols von Kanada weg fördern.
Droht eine Polumkehr?
„Es ist klar, dass etwas Merkwürdiges im Gange ist“, sagte Phil Livermore von der University of Leeds in Nature News. Eine Kombination von sich abschwächendem Magnetfeld mit zunehmenden Anomalien gab es im Laufe der Erdgeschichte auch vor Perioden der Polumkehr. Dabei tauschen nach einer Phase mit chaotischem, sehr schwachem Magnetfeld die Pole ihre Plätze.
Ob allerdings eine solche Umpolung unmittelbar bevorsteht, ist zurzeit strittig. Denn in der Erdgeschichte gab es auch Schwächezeiten des Magnetfelds, nach denen sich die Lage wieder normalisierte. In welche Richtung sich der Geodynamo unseres Planeten daher in Zukunft entwickeln wird, bleibt vorerst offen.
Quelle: NOAA, Nature News