Mithilfe des Metalls Molybdän in Sedimentgesteinen haben Schweizer Forscher nachgewiesen, warum es vor rund 540 Millionen Jahren auf der Erde zu einem großen Massenaussterben der ersten Mehrzeller kam: Die gemessenen Molybdän-Isotope zeigen an, dass die Lebensräume der so genannten Ediacara-Fauna durch aus der Tiefe der Ozeane aufsteigenden Schwefelwasserstoff (H2S) vergiftet wurden, so die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Wissensmagazins „Nature“.
Am Ende des Präkambriums, vor rund 600 Millionen Jahren, beherrschte eine spezielle Gruppe von mehrzelligen Weichtieren die Meere, die so genannte Ediacara-Fauna. Ein gewaltiges, weltweites Ereignis setzte jedoch deren Vorherrschaft ein plötzliches Ende. Für das Massenaussterben diskutieren Forscher verschiedene Theorien, jedoch nur eine erklärt die Beobachtungen der Berner Forscher.
Ozeane mit lebensfeindlichen Bedingungen
Die neuesten Erkenntnisse des Geologen Professor Thomas Nägler von der Universität Bern und seines internationalen Teams beruhen auf der Untersuchung von kambrischen Schwarzschiefern aus China und aus dem Oman. Schwarzschiefer enthalten nebst Ton viel Kohlenstoff aus abgestorbenem organischem Material, sie entstehen aus Faulschlamm. In solchen Ozeanregionen herrschen lebensfeindliche Bedingungen: Es hat kaum Sauerstoff und das Wasser kann große Mengen an Schwefelwasserstoff (H2S) enthalten.
Unter dem Einfluss von Schwefelwasserstoff baut der Schiefer bevorzugt schwere Molybdän-Isotope ein. Isotope sind Atome eines Elements mit gleicher Anzahl an Protonen, aber unterschiedlich vielen Neutronen und somit unterschiedlichem Gewicht. Das gemessene Isotopenverhältnis des Molybdäns in den Schwarzschiefern zeigt nun, ähnlich einer Waage, die Ausbreitung von H2S-reichen Gebieten im Vergleich zu sauerstoffreichen Gebieten in den alten Ozeanen auf.
Zwei Ozeanbecken – ein Phänomen
Nägler und sein Team maßen die Molybdän-Isotope in den einzelnen Schiefer-Schichten von unten nach oben, also von den älteren Schichten zu den jüngeren. Dabei entdeckten die Berner in beiden Meeren an der Präkambrium-Kambrium-Grenze eine plötzliche Zunahme an schweren Molybdän-Isotopen.
In den jüngeren Schichten wäre zu erwarten gewesen, dass nach dem plötzlichen Anstieg der Gehalt an schweren Molybdän-Isotopen langsam auf normale Werte abnehmen würde. Wider Erwarten folgte aber auf die Zunahme eine extreme Abnahme, die schließlich sogar tiefere Werte lieferte als in der ursprünglichen Zusammensetzung: Die Waage der Isotopenverhältnisse war aus dem Gleichgewicht gebracht worden, schwankte und pendelte erst mit der Zeit wieder bei den Ausgangswerten ein.
Des Rätsels Lösung ist die Wasserdurchmischung
Um eine Antwort für das außergewöhnliche Phänomen zu finden, suchte Martin Wille mittels Computer-Modellierungen nach einer Erklärung. Sein Fazit über die Vorgänge vor 540 Millionen Jahren: Ein plötzliches Ereignis muss erstens die Molybdänkonzentration im Ozeanwasser stark erniedrigt haben. Das heißt, das im Ozeanwasser gelöste Molybdän muss sehr schnell ausgefällt und in die Schwarzschiefer eingelagert worden sein.
Zweitens muss es eine kurze Phase gegeben haben, in der bevorzugt schwere Molybdän-Isotope ausgefällt wurden, und drittens eine längere Phase mit der Ausfällung leichterer Zusammensetzungen.
Als Auslöser für diese plötzliche Änderung der Molybdän-Isotopenverhältnisse an der Präkambrium-Kambrium-Grenze kommt einzig Schwefelwasserstoff (H2S) in Frage. Am Ende des Präkambriums waren die Ozeane ähnlich geschichtet wie ein überdüngter See. Das Wasser war kaum durchmischt. Während an der Wasseroberfläche oxische Bedingungen mit Sauerstoff und Molybdänoxid herrschten, lagerten in der Tiefe enorme Mengen an H2S. Eine Durchmischung des Ozeans führte zu einem plötzlichen Aufsteigen des hochgiftigen Wassers, welches schließlich in kleinere randliche Meeresbecken schwappte und die dort lebende Ediacara-Fauna tötete.
Ursache: Klimaschwankung oder Plattentektonik
In der Folge führte der Schwefelwasserstoff (H2S) zum schlagartigen Ausfallen des gelösten Molybdäns. Da aber H2S im Kontakt mit dem Sauerstoff in der Atmosphäre sehr schnell oxidiert wird, wird der ursprüngliche Zustand in den Oberflächengewässern rasch wieder hergestellt. So pendelten sich die Isotopenwerte erneut ein – und die Randmeere wurden wieder lebensfreundlich. Das Aussterben der Ediacara-Fauna hinterließ unzählige Lebensräume, die umgehend mit neu entwickeltem Leben wieder besetzt wurden – die so genannte „kambrische Explosion“.
Die Frage, warum die Ozeanströmungen sich so stark änderten, dass es zur Durchmischung kam, können die Geologen nicht beantworten. Änderungen der Meerströmungen sind aber in der Erdgeschichte nicht selten. Ursachen können zum Beispiel Klimaschwankungen sein oder aber das Schließen oder Öffnen von Meeresstraßen durch die Wanderung der Kontinente.
(Universität Bern, 29.05.2008 – DLO)