Wissenschaftler sind dem Rätsel der Entstehung von Riesenwellen auf der Spur: Sie haben im Wellenkanal eine Monsterwelle erzeugt, die rein auf einer mathematischen Formel beruhte. Mit diesem Modell gelang es ihnen erstmals, die Eigenschaften realer Riesenwellen genau zu kopieren. Noch müsse weiter getestet werden, wie anwendbar dieses Modell sei, sagen die Forscher. Eine künftige Vorhersage solcher Riesenwellen könnte aber dazu beitragen, schwere Unfälle oder sogar Katastrophen zu verhindern.
Sie sind rätselhaft und gefürchtet, und niemand kann vorhersagen, wo und wann sie auftauchen: Monsterwellen sind mindestens zweimal, oft dreimal so hoch die höchsten Wellen des gerade herrschenden Seegangs. So können sie bei einem Seegang von 5 Metern etwa 15 Meter hoch werden. Solche Riesenwellen können Schiffe auf hoher See beschädigen und etliche bis heute verschollene Schiffe gehen vermutlich auf ihr Konto. Schon lange sucht die Fachwelt nach einem Modell, um das Entstehen von Monsterwellen abbilden zu können. Zum ersten Mal ist dies jetzt einem deutsch-australischen Forscherteam von der TU Hamburg und der National University in Canberra zum ersten Mal gelungen.
Der Physiker Norbert Hoffmann und der Mathematiker Amin Chabchoub von der TU Hamburg sowie der Physiker Nail Akhmediev von der National University in Canberra führten ihren Versuch im Wellenkanal der TU Hamburg durch. Ein Paddel erzeugt dort die Wellen, so dass Modulationen entstehen, ähnlich wie sie durch Wind auf dem offenen Meer hervorgerufen werden können. Diese verursachen schließlich das Anwachsen einer Welle, die dreimal so hoch ist wie die Wellen vorher und nachher.
Der Modellversuch folgt der nichtlinearen Schrödinger-Gleichung, einer vereinfachten Modellgleichung für Wasserwellen. „In dieser Gleichung gibt es die so genannte Peregrine Lösung, die beschreibt, wie eine Welle aus dem Nichts entsteht und ins Nichts verschwindet. Man hat also ein ganz normales Wellenfeld, aus dem sich plötzlich eine riesige Welle auftürmt,“ sagt Chabchoub. Die Peregrine Lösung stellt ein einzelnes Wellenereignis dar und bezieht sowohl Raum als auch Zeit ein.
Ruhe vor der Welle entscheidend
Signifikant beim Entstehen einer Monsterwelle ist offenbar der Moment der Ruhe kurz vorher. Die Wellen werden unvermittelt flacher, bevor sich die Riesenwelle auftürmt, was häufig in einer Dreier-Formation geschieht. „Genauso wie es die Peregrine Lösung zeigt. Es ist absolut verblüffend, dass wir die Welle exakt so erzeugen konnten“, freut sich Hoffmann.
Der von Erfolg gekrönte Laborversuch hat in jedem Fall eines gezeigt: Das Entstehen von Monsterwellen lässt sich durch ein mathematisches Modell und dessen Lösungen darstellen. Wie anwendbar die beobachtete Peregrine Lösung in der Realität ist, bleibt jedoch noch abzuwarten. In jeden Fall werden sich die Forscher weiter dem Thema widmen. Künftig werden außer Hoffmann, Chabchoub und Akhmediev weitere Wissenschaftler, wie ein Ozeanograf von der Russischen Akademie der Wissenschaften, daran arbeiten, den Rätseln von Wellen auf die Spur zu kommen.
Verbesserte Modelle könnten Schiffe und Windräder vorwarnen
Obwohl das Augenmerk der Meerestechniker auf der Theorie liegt und sie in erster Linie am mathematisch-physikalischen Verständnis der Lösungen interessiert sind, lassen sie den
praktischen Nutzen nicht außer Acht, der vor allem für die Schifffahrt enorm sein könnte. Denn sollte man aufgrund von Messungen und Berechnungen Wellenverlauf und Wellenperioden voraussagen können, würde das schwere Unfälle oder sogar Katastrophen zu verhindern helfen. Vorstellbar wäre,
dass an Bord eines Schiffes ein Sensor die Wellenbewegungen registriert und vor dem Auftreten einer Monsterwelle anschlägt – und sei es nur 10 bis 20 Sekunden zuvor. Dann könnten Passagiere und Besatzung gewarnt werden und der Kurs eines Schiffes ließe sich korrigieren, so dass der Aufprall weniger Schäden verursacht.
„Auch für die Produzenten und Betreiber von Wellenenergiekraftwerken wären solche Berechnungen sehr hilfreich, weil die Monsterwellen die Anlagen zerstören können“, sagt Hoffmann. Erstmals mathematisch abgeleitet wurden diese Lösungen zwar bereits in den 1970er Jahren, allerdings gab es seither keinen Versuchsnachweis für sie. Die aktuellen Ergebnisse der Forscher sind im Fachmagazin „Physical Review Letters“ erschienen.
(Technische Universität Hamburg-Harburg, 17.08.2011 – NPO)