Die polaren Eisdecken reagieren auf gemäßigte Temperaturanstiege viel sensibler als bisher angenommen. Schon bei zwei Grad Erwärmung könnten sie langfristig um sechs bis neun Meter ansteigen. Das zeigt eine jetzt in „Nature“ veröffentlichte Auswertung amerikanischer Forscher. Die Weichen für ein Abtauen der Eiskappen Grönlands und der Antarktis werden vermutlich noch in diesem Jahrhundert gestellt.
In der letzten Zwischeneiszeit, vor rund 125.000 Jahren, lagen die polaren Temperaturen um rund drei bis fünf Grad Celsius über den heutigen. Auch die Meeresspiegel waren entsprechend höher. Damit dient diese Ära den Klimaforschern als wichtiges Modell einer zukünftigen warmen Erde. Denn die damaligen Temperaturen entsprechen heute einer globalen Erwärmung von zwei bis drei Grad über vorindustriellem Niveau. Allerdings geben die auf lokalen Daten beruhenden Rekonstruktionen der Zwischeneiszeit immer nur ein unvollständiges Bild, da sich die Meeresspiegel nicht überall gleich verhalten.
Jetzt haben Forscher der Universität Princeton in den USA erstmals solche lokalen Daten weltweit zusammengetragen und diese mit Modellen der dahinterstehenden physikalischen Mechanismen verknüpft. Mit Hilfe eines neuen statischen Modells erstellten die Wissenschaftler so eine neue vollständigere Rekonstruktion der vergangenen Meeresspiegelhöhen und der Raten ihrer Veränderung.
Sechs bis neun Meter Anstieg bei zwei Grad Erwärmung
Die Rekonstruktion ergab, dass die Meeresspiegel in der letzen Zwischeneiszeit mit 95 prozentiger Wahrscheinlichkeit mehr als 6,6 Meter über dem heutigen Niveau lagen. Zudem stiegen sie mindestens zwei bis drei Mal schneller als zurzeit. Sowohl die grönländische als auch die antarktische Eiskappe schrumpfen in dieser Phase signifikant.
Für eine zukünftige Entwicklung bedeutet dies, dass die Meeresspiegel schon bei zusätzlichen zwei Grad Erwärmung um sechs bis neun Meter ansteigen könnten. Eine solche Entwicklung würde die tiefer liegenden Küstengebiete überfluten und damit Millionen von Menschen betreffen. Der Großteil Bangladeschs und der Niederlande, New Orleans und Teile des südlichen Louisiana sowie Florida würden im Meer versinken, wenn nicht teure und aufwändige Maßnahmen zum Küstenschutz ergriffen werden.
Weichen werden in diesem Jahrhundert gestellt
Die Forscher betonen, dass ein solcher Anstieg zwar im Laufe von wenigen Jahrhunderten abgeschlossen sein würde, dass aber die Weichen für diese Entwicklung schon in diesem Jahrhundert gestellt werden.
„Die letzte Zwischeneiszeit liefert uns eine historische Analogie für eine Zukunft mit einer gemäßigten Erwärmung“, erklärt Robert Kopp, Geowissenschaftler an der Universität Princeton. „Die hohen Meeresspiegel während dieser Phase deuten darauf hin, dass weite Teile der großen Eisdecken innerhalb von Jahrhunderten verschwinden könnten. Wenn die globale Wirtschaft allerdings weiter so stark von fossilen Brennstoffen abhängig bleibt, werden wir am Ende dieses Jahrhunderts eine deutlich stärkere Erwärmung erreichen als in der letzten Zwischeneiszeit. Das finde ich ziemlich besorgniserregend.“
Mahnende Botschaft nach Kopenhagen
Noch allerdings ist nicht klar, wie lange die erhöhten Temperaturen anhalten müssen, damit der kritische Schalter umgelegt wird, der diesen Prozess in Gang setzt. Dazu sind die zeitlichen Abläufe der Zwischeneiszeit noch nicht genau genug aufgeschlüsselt. „Doch trotz dieser Unsicherheiten könnten diese Ergebnisse eine starke Botschaft an die in Kopenhagen verhandelnden Regierungen senden, dass die Zeit, um fatale Folgen abzuwenden schneller ablaufen könnte als gedacht“, so Michael Oppenheimer, Professor für Geowissenschaften und internationale Angelegenheiten an der Princeton Universität.
(Princeton University, 18.12.2009 – NPO)