Klima

Meeresspiegel: Anstieg doppelt so hoch wie gedacht?

Allein die Antarktis könnte die Pegel bis 2100 schon um einen Meter erhöhen

Eiskante des antarktischen Sorsdal-Gletschers. © Robert Ricker, NOAA/NOS/ORR

Land Unter: Neuen Modellen nach könnte der Meeresspiegel-Anstieg doppelt so stark ausfallen wie bisher prognostiziert. Der Grund: In bisherigen Modellen wurden zwei glaziale Prozesse nicht erfasst oder stark unterschätzt, wie Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Durch sie könnte allein das abtauende Eis der Antarktis bis 2100 einen Meter zum Meeresspiegel-Anstieg beitragen – das ist zweimal so viel, wie von der IPCC vorhergesagt.

Durch den Klimawandel steigt der Meeresspiegel, heute so schnell wie seit 3.000 Jahren nicht. Schon jetzt beginnen selbst vor den Küsten der USA, Inseln im Meer zu versinken, die Gezeiten haben sich verändert und die Eisschmelze in der Westantarktis gilt bereits als unumkehrbar.

Ein Meter bis 2100 allein durchs Antarktis-Eis

Die nächste Hiobsbotschaft verkünden nun Robert DeConto von der University of Massachusetts in Amherst und sein Kollege David Pollard von der Pennsylvania State University. Denn wie sie herausgefunden haben, könnte der Meeresspiegel sogar doppelt so schnell und hoch ansteigen wie es die Prognosen des IPCC im letzten Weltklimabericht vorhersagten.

„Geht die Erwärmung ungebremst weiter, könnte bis 2100 allein die Antarktis mehr als einen Meter zum Anstieg beitragen und mehr als 13 Meter bis 2500“, so die Forscher. „Für viele niedrig gelegene Küstenstädte wäre das ein Desaster.“ Hinzu kommt, dass die Pegel nicht so schnell wieder absinken, selbst wenn alle Emissionen stoppen. Denn der Ozean speichert die Wärme mehrere Jahrtausende lang.

Die Kante des Ross-Schelfeises - ihre Höhe ist nichts im Vergleich zu den künftigen Gletscherfronten weit zurückgewichener Gletscher. © Michael Van Woert, NOAA/NESDIS/ ORA

Zwei bisher vernachlässigte Prozesse

Ursache für den stärkeren Anstieg der Meeresspiegel ist das Eis der Antarktis. Dieses könnte künftig deutlich sensibler auf die Erwärmung reagieren als bisher angenommen, wie die Wissenschaftler herausfanden. Der Grund dafür sind zwei Prozesse, die bisherige Klimamodelle nicht berücksichtigt haben. Nimmt man sie in physikalische Modelle der Eisschmelze mit auf, lassen sich auch die Pegel vergangener Warmzeiten besser rekonstruieren.

„Geologische Belege sprechen dafür, dass die Meeresspiegel in Pliozän vor rund drei Millionen Jahren um zehn bis 20 Meter anstiegen“, erklärt Pollard. „Aber die existierenden Klimamodelle konnten dies nicht nachbilden und erklären.“ Durch Berücksichtigung der beiden bisher vernachlässigten glazialen Mechanismen gelang dies den Forschern nun. Das wiederum spricht dafür, dass auch ihre Zukunfts-Prognosen stimmen könnten.

Warme Luft wirkt stärker als gedacht

Der erste bisher vernachlässigte Mechanismus ist die Wirkung von erwärmter Luft und Regen auf die Oberfläche der Gletscherzungen. „Schon jetzt erreichen oder übertreffen die Sommertemperaturen in vielen antarktischen Schelfgebieten die Null-Grad-Marke“, so DeConto und Pollard. Die flache Oberfläche des Schelfeises und das sich auf ihr sammelnde Schmelzwasser lassen dieses Eis sehr viel sensibler auf diese Erwärmung der Luft reagieren, als bislang vermutet wurde.

Dieses Abtauen von oben war die treibende Kraft hinter dem Zerbrechen des Larsen B Eisschelfs im Jahr 2002, wie die Forscher berichten. In den nächsten hundert Jahren könnte dieser Schwund von oben sogar die das bereits bekannten Abschmelzen der Gletscherzungen von unten durch das wärmer werdende Meerwasser übertreffen.

Am Helheim-Gletscher in Grönland ist die Eiskante schon jetzt mehrere Dutzend Meter hoch. © Knut Christianson

Kollabierende Eiskliffs beschleunigen Schmelze

Der zweite Prozess kommt dann zum Tragen, wenn sich die Grundlinien der Gletscherzungen – die Stelle, an denen das Eis noch auf dem Untergrund aufliegt – immer weiter zurückziehen. Weil der Untergrund in vielen Küstengebieten der Antarktis landeinwärts abfällt, nimmt die Dicke des auflagernden Gletschers nach innen zu. Und genau das ist das Problem:

„An Stellen, an denen das Eis an der Grundlinie 800 Meter und dicker ist, würde dies mehr als 90 Meter hoch aufragende Eiskanten erzeugen“, erklären DeConto und Pollard. „Diese würden schlicht durch die großen Belastungen kollabieren.“ Dieser Kollaps beschleunigt das Abschmelzen beträchtlich. Bereits jetzt existieren solche hohen, stark kalbenden Eiskanten am Crane Gletscher der antarktischen Halbinsel und an den Helheim und Jacobshavn Gletschern Grönlands, so die Forscher.

Nach Ansicht von Pollard und DeConto sollten beide Prozesse und die durch sie verursachte stärkere Schmelze des Antarktiseises in künftigen Studien berücksichtigt werden. „Auch wenn der Meeresspiegelanstieg in unserem Modell größer ist als bisher gedacht, beruht er auf glaubhaften Mechanismen und stimmt mit geologischen Belegen für vergangene Anstiege überein“, betont Pollard. (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature17145)

(Nature, University of Massachusett/ Penn State, 31.03.2016 – NPO)

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