Warnender Rückblick: Schon eine Erwärmung des Südozeans um zwei Grad könnte ausreichen, um den globalen Meeresspiegel um 3,80 Meter anzuheben. Darauf deuten im Antarktiseis konservierte Klimadaten aus der Zeit vor 130.000 Jahren hin. Damals verursachten die wärmeren Meere einen Kollaps der Schelfeisflächen und lösten ein rapides Abschmelzen des westantarktischen Eisschilds aus. Hält der Klimawandel weiter an, könnte dies in Zukunft noch einmal geschehen, so die Forscher.
Wenn es darum geht, mögliche Folgen des Klimawandels vorherzusagen, schauen Klimaforscher oft in die Vergangenheit. Denn im Laufe der Erdgeschichte hat es schon mehrmals Phasen gegeben, in denen die Temperaturen ähnlich hoch lagen wie für die Zukunft prognostiziert.
Eine dieser Phase ist die Eem-Warmzeit, die letzte Zwischeneiszeit vor 110.000 bis 130.000 Jahren. Damals lagen die globalen Mitteltemperaturen wahrscheinlich nur rund ein bis zwei Grad höher als heute, der Meeresspiegel jedoch war sechs bis neun Meter höher. Die Eem-Warmzeit ist damit zumindest in puncto Temperatur durchaus ein Modell für unsere Zukunft, aber der Meeresspiegel war damals deutlich höher als bislang vorhergesagt.
Überraschende Lücke im Eis
Aber warum? Genau das haben nun Chris Turney von der University of New South Wales und seine Kollegen untersucht. Für ihre Studie analysierten sie Eisproben aus der Region nahe der Patriot Hills am Rand des westantarktischen Eisschilds. Dort sind die abgelagerten Eisschichten gekippt und vom Wind freigelegt, so dass selbst Jahrtausende altes Eis gut zugänglich ist. „Statt Kilometer ins Eis hineinzubohren, können wir einfach über die Blaueisfläche laufen und dadurch durch Jahrtausende zurückreisen“, erklärt Turney.
Doch als die Forscher ihre Eisproben auswerteten, entdeckten sie etwas Merkwürdiges: Die Eisschichten aus der Zeit vor 110.000 bis 130.000 Jahren – der Eem-Warmzeit – fehlten größtenteils. Den wahrscheinlichen Grund dafür fanden die Wissenschaftler, als sie Klimadaten und die Topografie des unter dem Eis ihrer Probenregion liegenden Untergrunds untersuchten: Offenbar war damals der Ozean mehr als 200 Kilometer weit bis ins Inland vorgedrungen und hatte auch das tiefliegende Vorland der Patriot Hills überflutet.
Ozean rückte bis ins Inland vor
Ein solcher Vorstoß des Meeres ins Inland wäre jedoch nur dann möglich, wenn damals große Teile des Eisschilds und der davorliegenden Schelfeise abgetaut waren. Tatsächlich fanden Turney und sein Team Hinweise darauf, dass genau dies geschah. Demnach reichte schon eine Erwärmung des Südozeans um knapp zwei Grad aus, um die Schelfeise und Gletscherzungen von unten her so stark anzuschmelzen, dass sie kollabierten. Als Folge rutschten auch Teile des Eisschilds schneller ins Meer.
„Wir verloren damals nicht nur einen großen Teil des westantarktischen Eisschilds, dies passierte auch schon sehr früh während der letzten Zwischeneiszeit“, sagt Turney. Zusätzlich könnte die Erwärmung Vorkommen von Methanhydraten destabilisiert haben, die im Meeresboden lagen. Dies setzte das potente Treibhausgas Methan frei und trug zusätzlich zur Erwärmung bei.
Zwei Grad mehr – 3,80 Meter Pegelanstieg
„Diese Schmelze wurde damals wahrscheinlich durch eine Erwärmung des Ozeans um weniger als zwei Grad ausgelöst – das hat demnach auch Bedeutung für unsere Zukunft“, betont Turney. Doch wie stark erhöhte der Eisverlust damals den Meeresspiegel? Und welche Folgen hätte eine vergleichbare Entwicklung heute? Das rekonstruierten die Forscher mithilfe von Modellsimulationen des Eisverhaltens unter verschiedenen Klimabedingungen.
Das Ergebnis: „Steigen die Meerestemperaturen um zwei Grad gegenüber den heutigen an, sagt unser Modell einen Beitrag von 3,80 Meter zum Meeresspiegelanstieg voraus“, berichten die Forscher. Ein Großteil dieses Pegelanstiegs könnte schon innerhalb der ersten rund 200 Jahre dieser Erwärmung eintreten, angetrieben vom Kollaps der Schelfeise. Das könnte bedeuten, dass die Meeresspiegel bei weitgehend ungebremstem Klimawandel stärker ansteigen als bislang vom Weltklimarat IPCC vorhergesagt.
Es fehlt nicht mehr viel
„Unsere Ergebnisse stützen die wachsenden Belege dafür, dass die antarktischen Schelfeise schon gegenüber einem relativ geringen Temperaturanstieg anfällig sind“, sagen Tunry und sein Team. Tatsächlich vermuten Eisforscher schon länger, dass gerade die Westantarktis zu den „langsamen“ Kipppunkten in unserem Klimasystem gehört: Wird eine Temperaturschwelle überschritten, löst dies einen Jahrhunderte dauernden, aber schon von Beginn an unumkehrbaren Abtauprozess aus.
„Der westantarktische Eisschild sitzt quasi im Wasser und dieses Wasser wird wärmer und wärmer“, sagt Turney. Schon jetzt sind viele Gletscher unterhöhlt und warmes Tiefenwasser kann weit unter die Basis der Eiszungen vordringen. Einige Forscher vermuten sogar, dass die westantarktische Eisschmelze schon jetzt irreversibel sein könnte. Die aktuelle Studie unterstreicht erneut, dass die Folgen einer solchen Schmelze erheblich wären. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass wir einen Wert von zwei Grad Erwärmung nicht erreichen sollten“, so Turney. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2020; doi: 10.1073/pnas.1902469117)
Quelle: University of New South Wales