Jetzt ist es amtlich: Der globale Meeresspiegel ist im 20. Jahrhundert schneller angestiegen als jemals zuvor in den letzten 3.000 Jahren. Von 1900 bis 2000 stiegen die weltweiten Pegel um 14 Zentimeter. Gäbe es dagegen den anthropogenen Klimawandel nicht, wäre der Meeresspiegel vielleicht sogar gleichgeblieben, wie Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten. Zudem wären allein den US-Küsten 4.000 Überschwemmungen seit 1950 erspart geblieben.
Dass die Meeresspiegel durch die globale Erwärmung ansteigen, ist mittlerweile sattsam bekannt. Unter anderem deshalb prognostizieren Klimaforscher zunehmende Überschwemmungen und selbst in den USA gehen schon die ersten Inseln unter. Die Tücke liegt dabei jedoch im Detail.
Aus den lokal sehr unterschiedlichen Werten und den natürlichen Schwankungen einen genauen Gesamtwert für den vom Klimawandel verursachten Anstieg zu beziffern, ist alles andere als einfach. Zudem wurde lange Zeit mit falschen Basiswerten gerechnet, so dass sich erst kürzlich herausstellte, dass der Anstieg doch steiler ist als gedacht.
„Eine statistische Herausforderung“
Robert Kopp von der Rutgers University und seine Kollegen haben es nun dank komplexer Analysen erstmals geschafft, die Entwicklung des Meeresspiegels in den letzten 3.000 Jahren zu rekonstruieren. „Kein lokaler Pegelstand liefert uns den globalen Meeresspiegel“, erklärt Kopp. „Denn an jedem Standort wird der Wert von zahlreichen Prozessen beeinflusst, die ihn vom globalen Mittel abweichen lassen. Hieraus das globale Signal zu isolieren – das ist die statistische Herausforderung.“
Für ihre Studie werteten die Forscher Pegeldaten von 24 Standorten weltweit aus und rekonstruierten daraus erst die lokale, und dann die globale Entwicklung der Meeresspiegel. „Der Vergleich gibt uns die Chance zu sehen, was sie gemeinsam haben und wo sie sich unterscheiden“, sagt Koautor Andrew Kemp von der Rutgers University. Dadurch lassen sich lokale Einflüsse, aber auch natürliche Schwankungen vom globalen Effekt des Klimawandels trennen.
„Hockey-Stick“-Kurve für den Ozean
Das Ergebnis: In den 100 Jahren von 1900 bis 2000 ist der globale Meeresspiegel schneller angestiegen als jemals zuvor in den letzten 3.000 Jahren. In diesem Jahrhundert stiegen die Pegel im weltweiten Durchschnitt um 14 Zentimeter. „Das 20. Jahrhundert war in den letzten drei Jahrtausenden außergewöhnlich“, sagt Kopp. „Und in den letzten 20 Jahren hat sich der Meeresspiegelanstieg sogar noch einmal beschleunigt.“
Seniorautor Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ergänzt: „Unsere Studie ist für den Meeresspiegel, was das berühmte Hockey-Stick-Diagramm für die globale Lufttemperatur ist.“ Diese Kurve verdeutlicht wie kaum eine andere den rasanten Anstieg der irdischen Temperaturen seit Anfang des 20. Jahrhunderts.
Reaktion schon auf kleine Veränderungen
Die Berechnungen ergaben auch, wie sich die Pegel entwickelt hätten, wenn der Mensch nicht das Klima durch seine Emissionen angeheizt hätte: „Unsere Modelle deuten darauf hin, dass der globale Meeresspiegel ohne den Klimawandel im 20. Jahrhundert entweder bis zu drei Zentimeter gesunken oder bis zu sieben Zentimeter angestiegen wäre.“ Allein der US-Küste wären dadurch seit 1950 rund 4.000 Überschwemmungen erspart geblieben.
Wie sensibel der Ozean auf Klimaveränderungen reagiert, zeigt ein weiteres Ergebnis: Zwischen den Jahren 1000 und 1400 sank der Meeresspiegel um rund acht Zentimeter ab, wie die Forscher feststellten. Diese Entwicklung trifft mit einer Phase zusammen, in der sich globale Klima um 0,2 Grad Celsius abkühlte. „Es ist erstaunlich, dass wir diese Pegelveränderungen sogar bei einer so schwachen Abkühlung sehen“, sagt Kopp.
Wichtig für genaue Prognosen
Nach Ansicht der Forscher bestätigen ihre Ergebnisse nicht nur die Angaben des letzten Weltklimaberichts und anderer früherer Studien, sie stellen auch ein wichtiges Hilfsmittel dar, u den künftigen Meeresspiegel-Anstieg genauer prognostizieren zu können.
„Die Szenarien des künftigen Anstiegs hängen davon ab, dass wir verstehen, wie das Meer auf Klimaveränderungen reagiert“, sagt Kopps Kollege Benjamin Horton. „Und unsere präzisen Schätzungen der Pegelveränderungen in den letzten 23.000 Jahren liefern dafür eine gute Basis.“ (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2016; doi: 10.1073/pnas.1517056113)
(Rutgers University, 23.02.2016 – NPO)