Ob Steinkreis, Ganggrab oder Dolmen: Alle Megalith-Bauwerke Europas könnten auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen, wie nun eine Studie enthüllt. Demnach entstand diese von monumentalen Steinanlagen geprägte Kultur vor rund 6.500 Jahren im Nordwesten Frankreichs und breitete sich dann entlang der Meeresküsten Europas aus. Das Spannende daran: Die Übermittler der Kultur waren offenbar Seefahrer – was ein ganz neues Licht auf die maritimen Fähigkeiten unserer Vorfahren wirft.
In der Zeit vor 6.500 bis 4.500 Jahren errichteten die Menschen in Europa charakteristische, monumentale Stein-Heiligtümer und Grabanlagen. Insgesamt 35.000 solcher Megalith-Bauwerke sind heute bekannt, darunter das berühmte Stonehenge, die stehenden Steine im bretonischen Karnak, aber auch viele Dolmen und Ganggräber in Spanien, Skandinavien und im Mittelmeerraum.
Gleiche Bauten in ganz Europa
Merkwürdig nur: Selbst Megalith-Anlagen an entgegengesetzten Enden Europas ähneln sich auf verblüffende Weise. „Sie haben teilweise sogar identische architektonische Merkmale über ihr gesamtes Verbreitungsgebiet hinweg“, erklärt Bettina Schulz Paulsson von der Universität Göteborg. Zudem gruppieren sich diese Bauten auffallend oft in Küstengebieten: entlang des Atlantiks, aber auch rund ums Mittelmeer.
Wie sind diese Parallelen zu erklären? Könnte die Megalith-Kultur in ganz Europa auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen? Oder kamen Menschen unabhängig voneinander auf die Idee, riesige Steine zurechtzuhauen und in bestimmter Weise aufzustellen? Schon vor rund 100 Jahren hielten einigen Archäologen letzteres für extrem unwahrscheinlich. Stattdessen vermuteten sie, dass eine steinzeitliche Priesterkaste existierte, die umherzog und die Idee der Megalith-Bauten verbreitete.
Ursprung in Nordwest-Frankreich
Das Problem jedoch: Lange war die Datierung der Megalith-Bauten zu ungenau und unvollständig, um dieses Szenario zu bestätigen oder zu entkräften. Auch wo die Ursprungsregion dieser Kultur lag, ließ sich daher nicht feststellen. Inzwischen jedoch sind deutlich mehr Anlagen datiert. Schulz Paulsson hat daher nun 2.410 Datierungen sowie archäologische Daten für Megalith-Bauten in ganz Europa ausgewertet und daraus die Entwicklung und Verbreitung dieser Kultur rekonstruiert.
Das überraschende Ergebnis: Es gibt tatsächlich eine erkennbare zeitliche und räumliche Abfolge der Megalith-Anlagen in Europa. Demnach tauchten erste einfache Megalith-Gräber etwa um 4.700 vor Christus im Nordwesten Frankreichs auf. „Diese Region ist auch die einzige in Europa, in der es prämegalithische Monumentalbauten und Übergangsstrukturen gab“, berichtet die Forscherin. Zu diesen Anlagen gehörten komplexe, bis zu 280 Meter lange Erdgräber. „Diese Gräber könnten die ältesten Monumentalgräber Europas sein“, so Schulz Paulsson.
Über Atlantik und Mittelmeer in den Rest Europas
Von der Bretagne aus breiteten sich Großsteingräber erst bis an die Küsten Südfrankreichs und der Iberischen Halbinsel aus. Es folgten Gräber in Katalonien, Sardinien und Korsika, aber auch im Norden Italiens. Vor etwa 6.300 Jahren bahnte sich dann ein kultureller Wandel an: Während die Toten zuvor in einfachen Einzelgräbern bestattet wurden, errichtete man nun Ganggräber. „Diese Grabstätten konnten für wiederholte Bestattungen wieder geöffnet werden“, erklärt Schulz Paulsson. „Dies markiert einen radikalen Wandel der Bestattungsriten in Europa.“
Das Interessante daran: Auch dieser neue Trend hatte den Datierungen nach seinen Ursprung in Frankreich und breitete sich dann entlang der Atlantikküste Frankreichs, der Iberischen Halbinsel, Irlands, Englands und Schottlands aus. In der zweiten Hälfte des vierten Jahrtausends vor Christus erreichte die Megalith-Kultur dann auch Skandinavien. „Und auch hier gibt es Belege für eine Verbreitung über das Meer“, sagt die Archäologin. Denn die ältesten bekannten Ganggräber Skandinaviens liegen an der Westküste der schwedischen Inseln Oland und Gotland.
Steinzeitliche Seefahrer?
Nach Ansicht von Schulz Paulsson sprechen diese Ergebnisse dafür, dass die frühen Archäologen zumindest in Teilen richtig lagen: Die Megalith-Kulturen in Europa sind offenbar nicht unabhängig voneinander entstanden, sondern gehen auf einen gemeinsamen Ursprung zurück. „Wir haben klare Indizien für eine Ausbreitung der Megalithe in drei großen Schüben über die Seeroute gefunden“, so die Forscherin.
Das könnte bedeuten, dass die Menschen der Steinzeit bereits überraschend gute Seefahrer waren. „Die maritimen Fähigkeiten, das Wissen und die Technologie dieser Gesellschaften müssen weiter entwickelt gewesen sein als bisher angenommen“, sagt Schulz Paulsson. Sollte sich dies bestätigen, könnten die Anfänge der Seefahrt 2.000 Jahre weiter zurückliegen als gedacht. „Das eröffnet eine neue wissenschaftliche Diskussion über die maritime Mobilität und Organisation der neolithischen Gesellschaften und die Natur ihrer Wechselbeziehungen.“ (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2019; doi: 10.1073/pnas.1813268116)
Quelle: PNAS