Geowissen

Mehr Radium am Nordpol

Klimawandel verstärkt Eintrag von radioaktivem Isotop in das zentrale Nordpolarmeer

Durch den Klimawandel gibt es im Nordpolarmeer immer mehr offene Wasserflächen - und das hat Folgen. © NOAA/ Pablo Clemente-Colon

Überraschende Klimafolge: In den letzten zehn Jahren hat sich der Gehalt an radioaktivem Radium-228 am Nordpol fast verdoppelt, wie Forscher ermittelt haben. Ursache dafür ist jedoch nicht eine menschengemachte Verschmutzung, sondern der Klimawandel: Mehr offenes Wasser in Küstennähe fördert die Wellenbildung, das wiederum wirbelt radiumhaltiges Sediment auf und schwemmt dieses mit Wasser und Eis nach Norden.

Die Arktis ist stärker vom Klimawandel betroffen als fast jede andere Region der Erde. Als Folge schmelzen Permafrost und Meereis, die früher meist ganzjährige gefrorene Nordostpassage wird im Sommer passierbar und selbst am Nordpol reißen offene Wasserflächen auf.

Verdopplung des Radiumgehalts am Nordpol

Jetzt haben Lauren Kipp von der Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI) und ihre Kollegen eine weitere Folge der arktischen Erwärmung aufgedeckt. Die Forscher hatten vom US-Forschungseisbrecher Healey aus zwei Monate lang Meerwasserproben des Nordpolarmeeres entnommen und analysiert. Ihre 69 Probenstellen reichten dabei von der Tschuktschensee vor der ostsibirischen Küste bis zum Nordpol.

Das Ergebnis: Der Gehalt an Radium-228 am Nordpol ist in den letzten knapp zehn Jahren stark angestiegen. Im Meerwasser des zentralen Nordpolarmeeres hat sich der Gehalt dieses radioaktiven Isotops seit der letzten Probennahme im Jahr 2007 fast verdoppelt, wie die Forscher berichten. Seltsam daran: Die Messungen in Küstennähe ergaben dort keine auffallende Zunahme des Radiums im Meerwasser.

Das Radium-228 gelangte vom ostsibirischen Schelf in zentrale Nordpolarmeer © Natalie Renier/ WHOI

Woher kommt das Isotop?

Wo kommt das Radium her? Typischerweise entsteht dieses wasserlösliche Isotop durch Zerfall von Thorium in Boden und Sediment. Ins Meerwasser gelangt das Radium durch Einschwemmung von Sediment über Flüsse und Küsten in den Ozean oder durch Aufwirbeln des küstennahen Meeresgrunds, wie Kipp und ihre Kollegen erklären. Mit Eisbergen und Strömungen wird das Radium dann ins offene Meer transportiert.

Wie die Forscher feststellten, muss das am Nordpol gemessene Radium-228 von den ausgedehnten Schelfgebieten vor der ostsibirischen Küste stammen – dem größten Kontinentalschelf der Erde. Doch wie nähere Untersuchungen ergaben, hat sich dort der Eintrag durch Flüsse seit 2007 kaum verändert. Auch die Erosion der Küsten lieferte nicht genügend Radium, um die drastische Zunahme dieses Isotops am Nordpol zu erklären.

Eisverlust und offenes Wasser als Ursache

Was aber ist dann die Ursache für den drastischen Radium-Anstieg am Nordpol? Wie die Forscher herausfanden, könnte der Klimawandel hierfür eine entscheidende Rolle spielen. Durch die Erwärmung der Arktis bleiben die Meeresgebiete über dem sibirischen Schelf länger eisfrei. Der Wind kann dort das offene Wasser durchmischen und Wellen erzeugen, wie die Forscher erklären.

Durch den Eisverlust im küstennahen Nordpolarmeer wird mehr Sediment aufgewirbelt und das schwemmt Radium und andere Stoffe ins freie Wasser. © Natalie Renier/ WHOI

Das turbulente Wasser wirbelt das Sediment des Schelfs auf und führt dazu, dass mehr Radium-228 aus dem Meeresgrund ins freie Wasser gelangt. Von den Schelfgebieten wird das Radium-228 dann mit Meeresströmungen und driftenden Eisbergen bis in das zentrale Nordpolarmeer transportiert. Der Meereisverlust und die längere Saison offenen Wassers könnte über diesen Prozess den größten Einfluss auf das Radium-228-Budget des Nordpolarmeeres haben“, konstatieren Kipp und ihre Kollegen.

Einfluss auf gesamtes Ökosystem

Doch das Radium-228 ist nicht das einzige, das vermehrt in das zentrale Nordpolarmeer transportiert wird: „Der verstärkte Einstrom von Radium-228 in die zentrale Arktis spricht dafür, dass auch andere vom Schelf stammende Substanzen wie Nährstoffe, organischen Kohlenstoff oder Metalle vermehrt dorthin geschwemmt werden“, erklären die Forscher. „Das jedoch hat das Potenzial, die Biogeochemie des zentralen Nordpolarmeeres signifikant zu verändern.“

Konkret bedeutet dies, dass der Klimawandel das Nordpolarmeer nicht nur direkt durch den Eisverlust verändert. Die Erwärmung droht auch, wichtige Stoffkreisläufe und Gleichgewichte in diesem sensiblen Ökosystem zu verschieben. „Das könnte die Produktivität und die Artenvielfalt der arktischen Gewässer dramatisch beeinträchtigen“, so die Wissenschaftler. Umso wichtiger sei es, den Eintrag dieser Stoffe nun genauer zu überwachen. (Science Advances, 2018; doi: 10.1126/sciadv.aao1302)

(Woods Hole Oceanographic Institution, 04.01.2018 – NPO)

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