Tiger sind anpassungsfähiger als gedacht: In einem Gebiet in Nepal sind sie zu Nachttieren geworden, obwohl sie von Natur aus auch tagsüber jagen. Sie haben ihr Verhalten geändert, um den Menschen in ihrem Lebensraum aus dem Weg zu gehen. Das hat ein internationales Forscherteam mit Hilfe von Fotofallen herausgefunden. Das Ergebnis zeige, dass Tiger und Menschen durchaus auf engem Raum zusammenleben können, ohne dass Raubkatzen oder die örtliche Bevölkerung darunter leiden, berichten die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Die Tigerdichte im Chitwan Nationalpark sei trotz steigender Zahl von Menschen in diesem Gebiet hoch geblieben, weil die Raubkatzen ihre Aktivität an die der Menschen angepasst hätten. Diese Erkenntnis eröffne auch neue Chancen für den Schutz dieser bedrohten Raubkatzen.
„Bisherige Schutzkonzepte beruhen auf der Annahme, dass einige Wildtierarten, darunter vor allem große Raubtiere und Huftiere, nicht in einem Lebensraum mit dem Menschen zusammenleben können“, erklären Neil Carter von der Michigan State University und seine Kollegen. Deshalb errichte man ihre Schutzgebiete möglichst fernab menschlicher Siedlungen und versuche, Mensch und Tiere streng getrennt zu halten. Aber diese Praxis könnte schon bald nicht mehr durchzuhalten sein, denn die menschliche Bevölkerung wachse und dringe immer stärker in die Lebensräume der Wildtiere vor.
„Wenn wir davon ausgehen, dass Tiger nur in für sie reservierten Gebieten überleben können, ist der Konflikt vorprogrammiert“, sagt Erstautor Carter. Doch im Chitwan Nationalpark zeige sich nun, dass auch eine friedliche Koexistenz möglich sei. Die Zukunft der bedrohten Raubkatzen sei daher möglicherweise weniger düster als angenommen. Eine Voraussetzung sei aber vermutlich, dass die Tiger genügend Beute finden und dass es nur wenig Wilderei gebe – wie in Chitwan der Fall.
Fotofallen für Tiger, Menschen und Beutetiere
Im tausend Quadratkilometer großen Chitwan Nationalpark leben 121 Tiger nicht isoliert, sondern in nahezu ständiger Präsenz des Menschen: Die waldreiche Gegend in und um den Park herum werde intensiv von der örtlichen Bevölkerung genutzt, um beispielsweise Holz oder Tierfutter zu sammeln, berichten die Forscher. Zudem besuche auch eine wachsende Zahl von Touristen aus aller Welt den Nationalpark. Um die Aktivitäten der Tiger, ihrer Beutetiere und der Menschen zu analysieren, stellten Carter und seine Kollegen zwei Jahre lang, jeweils von Januar bis Mai, Fotofallen entlang zahlreicher Wege und Pfade im Park und in dessen Umgebung auf. Diese lösten automatisch aus, sobald ein Lebewesen die Lichtschranke durchbrach.
„Die Tiger in Chitwan waren tagsüber deutlich weniger aktiv als an Orten in Indonesien und Malaysia, wo es weniger menschliche Störungen gibt“, berichten die Wissenschaftler. Vor allem nahe der Parkgrenzen seien nur fünf Prozent der Tiger tagsüber in eine Fotofalle gegangen. Die Raubkatzen wichen potenziellen Kontakten mit den Menschen aus, indem sie ihre Aktivitätszeiten in die ruhigeren Nachtzeiten verlagerten, wie die Forscher erklären. Zumindest kurzfristig scheine dies gut zu funktionieren. Langfristig müsse man allerdings noch klären, ob die Tiger dadurch Nachteile haben, beispielsweise weil sie nachts weniger erfolgreich jagen als tagsüber. (doi: 10.1073/pnas.1210490109)
(Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 04.09.2012 – NPO)