Tod beim Ritual? In einem prähistorischen Heiligtum in Sachsen-Anhalt könnten vor rund 5.300 Jahren Frauen und Kinder bei Ritualen geopfert worden sein. Ihre Skelette haben Archäologen nun in Schachtgruben der Kreisgrabenanlage von Pömmelte entdeckt. Diese und weitere Funde sprechen dafür, dass diese Anlage am Übergang von der Jungsteinzeit zur Bronzezeit ein zeremonieller Ort von hoher Bedeutung war – ein deutsches Stonehenge, wie die Forscher im Fachmagazin „Antiquity“ berichten.
Der berühmte Steinkreis von Stonehenge ist zwar das berühmteste rituelle und astronomische Monument unserer Vorfahren, aber bei weitem nicht das einzige. Auch in Deutschland errichteten Menschen schon vor tausenden von Jahren kreisförmige Anlagen aus Wällen und hölzernen Palisaden. Beispiele sind eine 2015 entdeckte jungsteinzeitliche Kreisgrabenanlage bei Helmstedt, aber auch das Sonnenobservatorium von Goseck und ein keltisches Mondobservatorium bei Villingen-Schwenningen.
Komplexes Heiligtum
Doch das wahrscheinlich komplexeste Urzeit-Monument Deutschlands ist die rund 5.300 Jahre alte Kreisgrabenanlage von Pömmelte südlich von Magdeburg. Diese 115 Meter große Anlage besteht aus mehreren konzentrischen Ringen von hölzernen Palisaden, Gruben und Erdwällen, die einen freien Innenplatz umgeben. Zugang zu diesem Heiligtum boten vier Eingänge, die genau auf die Mitte zwischen Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen ausgerichtet waren.
„Diese Anlage ist der erste mitteleuropäische Monumentkomplex mit religiöser Bedeutung, der im Detail ausgegraben und erforscht worden ist“, erklären André Spatzier vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg und seine Kollegen. Sie markiert zudem den Übergang von der Jungsteinzeit zur frühen Bronzezeit in dieser Region. Zu welchem Zweck es genutzt wurde und von wem, haben sie anhand der jüngsten Ausgrabungen in Pömmelte ermittelt.
Demnach begannen Menschen der Glockenbecherkultur um 2300 vor Christus dieses Monument, später dann ergänzten auch Angehörige der sogenannte Unetice-Kultur dieses Heiligtum. Rätselhaft jedoch: Um 2050 vor Christus wurde die Anlage wieder zerstört – offenbar mit Absicht: „Es sieht so aus, als wenn die Menschen damals die Pfosten herausnahmen und die Löcher mit Opfergaben auffüllten“, berichtet Spatzier. „Dann verbrannten sie alles Holz und schütteten es in den Ringgraben.“
Schachtgruben mit „heiligem Abfall“
Spannend auch: Im Ringgraben stießen die Archäologen auf 29 schachtähnliche Gruben, die mit Scherben von Trinkgefäßen aus Keramik, Steinäxten, Mahlsteinen und Knochen gefüllt waren. Diese Schächte wurden offenbar nach und nach während der verschiedenen Nutzungsphasen des Heiligtums angelegt und gefüllt. „Diese Gruben sind der Schlüssel für die Interpretation der Bedeutung dieser Anlage“, konstatieren Spatzier und seine Kollegen.
Aus der Art und Abfolge dieser Funde schließen die Archäologen, dass es sich hier nicht um gewöhnliche Abfallgruben handelte. Stattdessen wurden hier absichtlich und zu bestimmten Anlässen Objekte deponiert – höchstwahrscheinlich als Opfergaben im Rahmen religiöser Riten und Zeremonien. „Diese Objekte wurden vermutlich als rituelle Paraphernalien verwendet und das Tabu forderte ihre anschließende Zerstörung und ihre Deponierung als ‚heiliger Abfall'“, so die Forscher.
Tote Kinder und Frauen im Schacht
Besonders spektakulär jedoch: Diese rituellen Schächte enthielten nicht nur Tierknochen, sondern auch menschliche Überreste. In der untersten Schicht stießen die Forscher auf die Skelette von Kindern, Jugendlichen und Frauen – Männer waren seltsamerweise keine darunter. Einige Schädel und Knochen wiesen Spuren von schweren Verletzungen auf, zudem waren alle Skelette wie achtlos durcheinandergeworfen.
„Diese Positionen deuten darauf hin, dass diese Toten einfach in die Schächte geworfen wurden“, sagen Spatzier und seine Kollegen. Mindestens ein Jugendlicher könnte dabei sogar noch gefesselte Hände gehabt haben. Ob er und die anderen Opfer beim Wurf in den Schacht noch lebten oder bereits tot waren, lässt sich heute nicht mehr feststellen.
Waren es Menschenopfer?
Könnte es sich hier um Menschenopfer handeln? Die Archäologen halten dies durchaus für möglich, schließen aber auch nicht aus, dass diese Frauen und Kinder bei gewaltsamen Konflikten getötet wurden. „In jedem Falle aber waren diese Gewaltopfer bedeutsam für die mit diesen Schächten verknüpften rituellen Aktivitäten“, konstatieren die Forscher. Ihr Tod, zumindest aber ihr Vergrabenwerden in den Schachtgruben des Heiligtums, hatte offenbar eine religiöse Bedeutung.
In dieses Bild eines Ritualorts und Heiligtums passt auch eine auffallende räumliche Verteilung der restlichen Schachtfunde: Steinäxte wurden nur in der südwestlichen Hälfte der Kreisgrabenanlage gefunden, Mahlsteine dagegen nur in der nordöstlichen Hälfte. „Mahlsteine sind Symbole der Weiblichkeit, der Fruchtbarkeit und von Leben und Tod“, so Spatzier. „Äxte dagegen sind mit Männlichkeit verknüpft, sie waren Statussymbole für hochrangige Krieger der Schnurkeramik- und Unetice-Kulturen.“
Gräber hochrangiger Männer
Doch es gab in Pömmelte noch weitere Tote: Auf der Ostseite der Kreisgrabenanlage stießen die Forscher auf 13 Flachgräber in denen ausschließlich Männer im Alter von 17 bis 30 Jahren bestattet waren. „Sie stehen in klarem Kontrast zu den Schachtbegräbnissen der Kinder, Jugendlichen und Frauen“, berichten die Archäologen. Denn diese Männer waren sorgsam und entsprechend den Gebräuchen der damaligen Zeit bestattet worden, wenn auch ohne Grabeigaben.
„Die Lage der Gräber am Ostrand der Anlage und die Ausrichtung der Körper mit dem Gesicht nach Osten spiegelt die Verknüpfung von Tod und Sonnenaufgang wider und symbolisiert den Glauben an eine Reinkarnation oder ein Leben nach dem Tod“, erklären die Forscher. Ihrer Ansicht nach handelt es sich bei den Toten um Männer mit besonders hohem sozialen Rang. Denn nur ihnen wurde die Ehre zuteil, in einem Heiligtum begraben zu werden.
Teil einer ganzen Ritual-Landschaft?
„Die Anlage von Pömmelte lässt sich als menschengemachtes Symbol des Kosmos verstehen. Sie spiegelt die Weltanschauung der Menschen wider, die diese Anlage bauten und nutzten, konstatieren Spatzier und seine Kollegen. Ähnlich wie Stonehenge gewann auch die Kreisgrabenanlage von Pömmelte im Laufe der Zeit an Bedeutung und entwickelte sich zu einem Heiligtum mit zunehmend komplexen religiösen Funktionen.
„Wie bei Stonehenge könnte auch die Landschaft um Pömmelte herum eine zeremoniale Aufteilung gehabt haben“, sagen die Archäologen. Sie halten es für durchaus wahrscheinlich, dass künftig in dieser Gegend noch weitere Monumente und Funde aus dieser Zeit entdeckt werden. Immerhin liegt ein zweites frühbronzezeitliches Bauwerk, die Kreisgrabenanlage von Schönebeck, nur 1,3 Kilometer entfernt. (Antiquity, 2018; doi: 10.15184/aqy.2018.92)
(Livescience, Antiquity, 02.07.2018 – NPO)