Der Seismologe Professor Frederik Tilmann vom Deutschen GeoForschungsZentrum – GFZ hat das schwere Erdbeben in Japan am 11. März mit einer Stärke von 9,0 hautnah miterlebt. Er befand sich zum Zeitpunkt der Naturkatastrophe in der Stadt Kashiwa im Chiba District nahe Tokio – nur 345 Kilometer vom Epizentrum und circa 120 Kilometer vom mutmaßlichen südlichen Ende der Bruchzone entfernt. Hier sein Erlebnisbericht:
Zum Zeitpunkt des Bebens hatte ich gerade mit Kollegen einen Workshop im Atmosphere and Ocean Research Institute der Universität Tokio besucht, ein erst vor kurzem fertig gestelltes Gebäude. Wir hatten im 1. Stock dieses Gebäudes gerade ein Seminar zu den großen Erdbeben in Sumatra gehört, als wir zunächst eine recht starke Auf- und Abwärtsbewegung verspürten (Seismologen als P-Wellen bekannt).
Da es recht langsam los ging, war es zunächst nicht klar, dass es ein großes Beben werden würde. Nach circa 10-15 Sekunden wurde uns aber klar, dass es sich um ein größeres Beben handeln würde, und wir sind dann schnell aus dem Gebäude gerannt. Während der Evakuierung kamen dann die Horizontalbewegungen (Seismologen als S-Wellen bekannt) hinzu, die sehr viel heftiger waren, aber auch eine recht geringe Frequenz hatten (langsamere Bewegung).
Metallisches Rasseln
Bewegungen der Strukturen im Gebäude verursachten ein metallisches Rasseln. Als wir draußen versammelt waren, bewegte sich der Boden in einer rollenden Bewegung. Dies fühlte sich so ähnlich an wie auf einem Boot, das in mittlerem Seegang rollt. In dieses Rollen kamen dann die auch noch recht starken Erschütterungen von Nachbeben, die anfangs fast im Minutentakt zu spüren waren.
Die anderen Leute im Gebäude brauchten teilweise sehr viel länger zur Evakuierung, da sie aus höheren Stockwerken kamen. Glücklicherweise entstanden an dem Gebäude keinerlei offensichtliche Schäden. Es wurde trotzdem von den für die Sicherheit zuständigen Personen empfohlen, das Gebäude höchstens kurzfristig wieder zu betreten.
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Schreckliche Bilder vom Tsunami
Unter den Geowissenschaftler war, nachdem klar war, dass keine persönliche Gefahr mehr bestand, zunächst die wissenschaftliche Neugierde überwiegend. Recht schnell konnten wir dann aber auf den Mobiltelefonen unserer japanischen Kollegen zunächst die Tsunami-Warnung und dann auch die schrecklichen Bilder vom Tsunami sehen, und da waren wir natürlich sehr bestürzt über die vielen Opfer, die man dann schon absehen konnte.
Trotz der erheblichen Erschütterungen gab es in meiner unmittelbaren Umgebung keine bemerkenswerte Gebäudeschäden oder Brände. Wasser, Strom und Internet standen ohne Unterbrechung ständig zur Verfügung und wir sind nur angehalten worden, Strom zu sparen (keine heißen Duschen!). Es war kein Anzeichen von Panik zu bemerken, wobei für viele Tokioter im Zentrum natürlich das Problem bestand bzw. besteht, ohne Züge nach Hause zu kommen. Ich bin seit gestern Abend im Hotel, und trotz der vielen von Nachbeben verursachten Erschütterungen läuft der Betrieb des Hotels anscheinend normal weiter.
Bemerkungen zum Beben
Das Epizentrum des Haupt-Bebens lag zwar circa 350 Kilometer Nord-nordöstlich von Tokio, allerdings entsprechen Beben einer solchen Magnitude immer einem Bruch der Plattengrenzfläche über hunderte von Kilometern. Das Epizentrum entspricht nur dem Ort, an dem der Bruch startet, wobei aber die größte Energie oftmals nicht dort, sondern an anderen Bereichen der Bruchzone frei gesetzt wird.
Eine erste Abschätzung der Bruchzone ist möglich durch Betrachtung der Verteilung der frühen Nachbeben. Die südlichsten Nachbeben finden sich bei circa 35,5° N, und dies zeigt daher das ungefähre südliche Ende des Bruches an. Dies entspricht auch ungefähr dem Breitengrad von Tokio, so dass sich das Beben wahrscheinlich bis innerhalb von 100-150 Kilometer vom Zentrum von Tokio hin ausgebreitet hat.
Vorbereitung auf Katastrophe und Auswirkungen
Trotz der vornehmlich durch den Tsunami verursachten Zerstörungen in den Küstengebieten ist es daher erstaunlich, wie gut Tokio dieses Erdbeben überstanden hat. Das Aussetzen des Zugverkehrs ist meinen Informationen nur aus Sicherheitsgründen geschehen, um die Gleisanlagen alle kontrollieren zu können, und es gibt wohl schon wieder begrenzten Flugverkehr von den Flughäfen.
Medienberichten zufolge gab es in manchen Teilen von Tokio Probleme mit der Stromversorgung, trotzdem sind Gebäudeeinstürze nur ein einem verschwindend kleinem Maße aufgetreten.
Die Tsunami-Warnungen gingen sehr schnell raus. Leider war auch die Zeit zwischen der Ankunft des Tsunamis und dem Erdbeben anscheinend sehr kurz und aus den Fernsehbildern lässt sich erkennen, dass der Tsunami sich weit ins Land ausbreitete. Trotz der dramatischen Bilder berichteten mir Kollegen von vielen Menschen, die sich durch ‚vertikale Evakuation‘, d.h. durch Flucht auf spezielle Gebäude, die auf Stabilität gegen Tsunamis ausgelegt sind, retten konnten.
Vorbereitungen retteten Tausende Menschenleben – mindestens
Trotz der fast optimalen Vorbereitungen Japans muss man allerdings einsehen, dass in manchen Fällen große Naturkatastrophen Opfer fordern werden; dieses Beben war für Japan ein Jahrhundertereignis. Trotzdem habe ich keine Zweifel daran, dass die japanischen Vorbereitungen Tausenden, wenn nicht Zehntausenden das Leben gerettet haben, und ein solches Beben in praktisch allen anderen Ländern der Welt bei vergleichbarer Bevölkerungsdichte ein Vielfaches an Opfern gefordert hätte.
Natürlich ist jede Katastrophe auch eine Möglichkeit zu lernen, wie man beim nächsten Mal noch besser vorbereitet sein kann. Ich vermute, bei diesem Beben wird das insbesondere die Vermeidung von Bränden in großindustriellen Anlagen wie den Kraftwerken und Raffinerien betreffen.
Häufigkeit solcher Ereignisse
Weltweit treten Ereignisse solcher Größe vielleicht im Durchschnitt alle zehn Jahre auf, allerdings haben wir noch nicht genügend lange instrumentelle seismologische Beobachtungen, um hier eine wirklich verlässliche Zahl liefern zu können. Die letzten sieben Jahre waren aber außergewöhnlich aktiv, mit den Magnitude 9,3 und 8,6 Beben in Sumatra in 2004 und 2005, und dem M=8,8 Beben in Chile im Februar letzten Jahres. Vor dem 2004 Sumatra-Beben traten solche Beben mit Magnitude >8,5 zum letzten Mal in den 1950’er und 1960’er Jahren auf (1950 Kamchatka M=9,0, 1960 Chile M=9,6, 1964 Alaska M=9,2).
Mehr zum Thema beim GFZ Potsdam und in unserem Special „Erdbeben und Tsunami in Japan“ .
(Deutsches GeoForschungsZentrum – GFZ, 16.03.2011 – DLO)