Georg Delisle ist Referatsleiter im Bereich „Geophysik, Meeres- und Polarforschung“ an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Er leitete im Jahr 2007 die Antarktisexpedition QueenMET, bei der im ewigen Eis des Queen Maud Landes unter anderem ein 31 Kilogramm schwerer Eisenmeteorit entdeckt wurde.
scinexx: Herr Delisle, warum haben Sie und Ihre Kollegen von der BGR gerade im Queen Maud Land nach Meteoriten gesucht?
Georg Delisle: Generell reihen sich Meteoriten-Fundorte in der Antarktis in etwa entlang der 2.000 Meter Höhenlinie auf. Ich hatte schon 1993 in einem Artikel im „Journal of Glaciology“ den Verdacht geäußert, dass dies davon herrührt, dass entlang der Linie die Eismächtigkeiten im Wechsel von Kalt- zu Warmzeiten mit die geringsten Veränderungen erfahren. Somit unterliegen die regionalen Eisflussbedingungen dort langfristig nur geringen Modifikationen.
Bis 2007 war in Queen Maud Land jedoch noch kein Meteorit gefunden worden – mit einer Ausnahme: 1961 haben russische Kollegen den aus zwei Stücken bestehenden Eisenmeteoriten „Lazarev“ am Südrand des Wohlthat Massivs offenbar in circa 2.000 Meter Höhe geborgen. Die Fundortbeschreibung ist aber etwas unklar. Für mich war das dennoch ein klarer Hinweis, dass die gesamte Region „höffig“ sein muss.
scinexx: In der Umgebung des Riesenmeteoriten fanden Sie damals 15 weitere kleinere Objekte in einer so genannten „Meteoritenfalle“. Was genau versteht man darunter?
Delisle: Im klassischen Sinne versteht man unter einer Meteoritenfalle eine Depression in der Eisoberfläche mit einer Akkumulation von Meteoriten. Dieser „Delle“ fließt von allen Seiten Eis zu, um dann sublimiert zu werden – daher auch die Depression. Mit dem Eis werden Meteoriten herantransportiert, die sich mit der Zeit in der Falle sammeln. Eisdepressionen bilden sich aber nicht überall, sondern nur, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen. Dazu gehören beispielsweise geringe Eismächtigkeit, starker Wind – er bläst die Schneebedeckung auf dem Eis weg und verursacht tendenziell hohe Sublimation – und geringe Neigung der Eisoberfläche, was extrem langsamen Eisfluss nahelegt.
In solch einer Feldsituation hatte ich bei den Allan Hills 1988 einen Meteoriten gefunden, dessen terrestrisches Alter Peter Scherer und Kollegen vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz mit etwas über zwei Millionen Jahre datiert haben. Da kommt man schon ins Grübeln, wieso ein Meteorit über einen derart langen Zeitraum auf antarktischem Eis, das in diesem Zeitraum weit mehr als 20 Kalt- und Warmzyklen erfahren hatte, liegen geblieben ist. Hier ist die Verbindung zwischen Meteoritenforschung, Glaziologie und Klimaforschung offensichtlich.
Im Hinblick auf unsere Fundstelle in Queen Maud Land bin ich mir noch nicht ganz sicher, ob wir in der Vergangenheit immer eine klassische Meteoritenfallen-Situation hatten.
scinexx: Welche neuen Erkenntnisse haben die ersten Untersuchungen der Meteoriten gebracht?
Delisle: Wir erwarten die ersten Ergebnisse zur Klassifizierung des Fundmaterials erst im Herbst 2008.
scinexx: Was passiert zurzeit mit den wertvollen „Steinen des Himmels“?
Delisle: Alles Material wird zurzeit in Zusammenarbeit mit Professor Christian Koeberl von der Universität Wien und Dr. Franz Brandstetter vom Naturhistorischen Museum Wien klassifiziert. In einem zweiten Schritt werden wir dann die Messung der terrestischen Alter der Meteoriten angehen. Zusätzlich haben wir für die Ermittlung von Expositionsaltern – also das Alter, seitdem das Gestein frei an der Erdoberfläche ansteht – geeignete Gesteinsproben mitgebracht, die an Felsflanken entnommen wurden. Diese Untersuchungen laufen derzeit an der Universität Köln und an der ETH Zürich. Wir versprechen uns von diesen Messungen weitere Aufschlüsse zu pleistozänen Schwankungen des Eisstandes im Umfeld „unserer Meteoritenfalle“.
scinexx: Sind sie während ihrer Forschungsreise in die Antarktis noch an anderer Stelle auf Meteoriten gestoßen?
Delisle: Nein – wir haben aber die Möglichkeit, die Verhältnisse in Queen Maud Land mit anderen antarktischen Fundstellen zu vergleichen, wie zum Beispiel der von der BGR in 1984 entdeckten Meteoritenkonzentration bei den Frontier Mountains in Nord Victoria Land oder der von US-Kollegen gefundenen Konzentrationen im Umfeld der Allan Hills, die ich in 1988 besuchen konnte.
scinexx: Herr Delisle, wir danken Ihnen für das Interview.
(GeoUnion/scinexx, 25.07.2008 – DLO)