Chemie

„Missing Link“ der Ursuppe gefunden?

Phosphorverbindung könnte gleich drei entscheidende Lebensbausteine erschaffen haben

Ein Molekül könnte in der Ursuppe bei der der Bildung von gleich drei wichtigen Lebensmolekülen geholfen haben. © Natalia Kollegova/ pixabay

Drei auf einen Streich: Eine kleine Phosphorverbindung könnte die entscheidende Voraussetzung für das erste Leben auf der Erde gewesen sein. Denn diese Chemikalie war imstande, gleich drei wichtige Biomoleküle zu synthetisieren: Nukleotide als Vorläufer von RNA und DNA, Peptide als Proteinvorstufen und Lipide für die Hüllmembranen der ersten Zellen. Damit war das Phosphorodiamidat genannte Molekül möglicherweise der Schlüssel für die Entwicklung der ersten Zellen.

Klar ist: Irgendwann vor gut 3,5 Milliarden Jahren müssen auf der Erde die ersten lebenden Zellen entstanden sein. Doch wo und wie dies geschah, ist bis heute rätselhaft. So könnten zwar die ersten RNA- und DNA-Bausteine mit Hilfe von Blitzen gebildet oder von Kometen auf die Erde gebracht worden sein. Wie aber aus diesen Bausteinen dann die kettenförmigen Erbmoleküle wurden und wie die ersten Proteine aus Aminosäuren entstanden, ist genauso unklar wie die Bildung der ersten Zellhüllen aus Lipiden.

Hindernis Phosphorylierung

Einer der Gründe dafür: Alle diese Biomoleküle benötigen eine spezielle chemische Reaktion für ihre Bildung, die sogenannte Phosphorylierung. Alle dafür in Frage kommenden Reaktionspartner jedoch hätten nur bei einer dieser drei Grundklassen der Lebensmoleküle funktioniert oder aber sie benötigten sehr spezielle, nicht mit der Ursuppe zu vereinbarende Umweltbedingungen.

„Es ist daher schwer vorstellbar, wie diese sehr unterschiedlichen Reaktionsprozesse an einem Ort hätten stattfinden sollen, um die ersten primitiven Lebensformen zu bilden“, erklärt Ramanarayanan Krishnamurthy vom Scripps Research Institute in La Jolla. Sehr viel naheliegender wäre es, dass es damals in der Ursuppe ein Molekül gab, das alle drei Stoffklassen phosphorylieren konnte. Doch einen solchen „Alleskönner“ hat man bisher vergebens gesucht.

Ein Molekül – drei Wirkungen

Jetzt jedoch könnten Krishnamurthy und seine Kollegen genau dieses fehlende Molekül gefunden haben. Wie sie in Experimenten herausfanden, kann die Phosphor-Stickstoff-Verbindung Phosphorodiamidat (H4N2O2P) mit einer großen Spannbreite von Biomolekül-Bausteinen reagieren und diese zu größeren Ketten zusammenfügen. Nötig ist dafür nur eine wässrige Lösung der Bausteine und der Katalysator Imidazol, eine einfache organische Verbindung, die höchstwahrscheinlich in der Ursuppe präsent war.

Phosphorodiamidat ist eine Verbindung aus Phosphor, Sauerstoff und Stickstoff. © gemeinfrei

Wird das Phosphorodiamidat beispielsweise zu einer Lösung mit den vier Nukleotid-Basen der RNA gegeben, phosphoryliert es diese und fügt sie zu kurzen RNA-Ketten zusammen, wie die Forscher berichten. Ähnlich effizient kombiniert das Phosphorodiamidat aber auch einzelne Fettsäuren und Glycerin zu Lipiden. „Wir waren überrascht zu sehen, dass sich dabei sogar große Vesikel mit Lipid-Doppelschicht bildeten“, berichten Krishnamurthy und seine Kollegen.

Und auch mit der dritten wichtigen Klasse der Lebensmoleküle reagierte die Phosphorverbindung – mit Aminosäuren. Im Experiment fügte es die Aminosäuren Glycin, Asparaginsäure und Glutaminsäure durch Phosphorylierung zu kurzen Peptidketten zusammen.

Geburtshelfer des ersten Lebens?

Damit könnten die Forscher endlich den Akteur entdeckt haben, der die wichtigsten Lebensmoleküle miterschuf. „Das erinnert mich fast ein wenig an die Fee, die im Märchen Cinderella ihren Zauberstab schwingt und damit simple Alltagsobjekte in etwas Komplexeres und Interessanteres verwandelt“, sagt Krishnamurthy. „Dieser Phosphorylierung-Agent könnte damals sowohl Oligonukleotide und Oligopeptide als auch die zellähnlichen Strukturen, die sie einschlossen, an einem Ort erschaffen haben.“

Damit hätte erst das Phosphorodiamidat die Voraussetzungen geschaffen, unter denen sich das erste Leben bilden konnte. Ob allerdings tatsächlich Phosphorodiamidat in der Ursuppe präsent war, dürfte sich nach mehr als 3,5 Milliarden Jahren wohl schwer beweisen lassen. Die Wissenschaftler aber halten es zumindest für durchaus wahrscheinlich – auch weil dieses Molekül unter wässrigen Bedingungen und in einer großen Spanne an Temperaturen arbeiten kann.

Echo der Ursuppen-Chemie noch in unseren Zellen

Zumindest gibt es einige Hinweise darauf, dass die nötigen Bausteine für die auf der Urerde vorhanden waren. „Astronomen haben Belege für Phosphor-Stickstoff-Verbindungen im Gas und Staub des interstellaren Raums entdeckt“, berichtet Krishnamurthy. „Es ist daher sehr plausibel, dass solche Verbindungen auch auf der Frühen Erde vorhanden waren und dort eine Rolle bei der Entstehung komplexer Lebensmoleküle spielten.“

Hinzu kommt: Bis heute findet die Phosphorylierung von Molekülen in unseren Zellen auf sehr ähnliche Weise statt wie durch das Phosphorodiamidat – auch wenn die Akteure inzwischen andere sind. „So phosphoryliert Phosphorodiamidat durch den gleichen Bruch von Phosphor-Stickstoff-Bindungen und unter den gleichen Bedingungen wie die Proteinkinasen“, sagt Krishnamurthy. „Und im Herzen des Stoffwechselzyklus jeder Zelle läuft eine ganz ähnliche Chemie ab wie beim Phosphorodiamidat.“ (Nature Chemistry, 2017; doi: 10.1038/nchem.2878)

(Scripps Research Institute, 08.11.2017 – NPO)

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