Trügerische Ruhe: Der Untergrund im östlichen Mittelmeer ist seismisch aktiver als bisher angenommen. Denn in der Vergangenheit ereigneten sich hier mehrfach ganze Serien von Starkbeben, wie Geoforscher herausgefunden haben. Wann die momentane Ruhe endet und sich das nächste Starkbeben und vielleicht sogar ein Tsunami ereignen, ist unbekannt. Dennoch sei es sinnvoll, Kreta durch Frühwarnsysteme und erdbebensicheres Bauen zu schützen, warnen die Forscher im Fachmagazin „Geophysical Research Letters“.
Das Mittelmeer liegt mitten in einer Kollisionszone: Hier trifft die Afrikanische Platte bei ihrer Nordwanderung auf die Eurasische und hat dabei den Untergrund in ein chaotisches Puzzle aus unzähligen Verwerfungen und Plattenbruchstücken zerbrochen. Als Folge treten gerade im Gebiet Italiens und in der Ägäis immer wieder Erdbeben auf und auch Tsunamis gelten als durchaus möglich.
Genauer Blick auf den Hellenischen Bogen
Seltsamerweise blieb jedoch eine Region relativ ruhig: Am Hellenischen Bogen südlich der Insel Kreta hat es in den letzten 4.000 Jahren nur zwei Starkbeben stärker als Magnitude 8 gegeben. Seit dem Untergang der minoischen Kultur auf Kreta schien vor allem der östliche Teil dieser Grenze zwischen Afrikanischer und Ägäischer Platte eher aseismisch. Die Platten verschieben sich ohne große Verhakungen und damit auch ohne schwere Beben – so dachte man jedenfalls bisher.
Doch dies täuscht, wie nun Vasiliki Mouslopoulou vom Geoforschungszentrum Potsdam und ihre Kollegen herausfanden. Sie haben den Untergrund im östlichen Mittelmeer untersucht und frühere Küstenlinien der Insel Kreta, und konnten so die Hebungen und Verschiebungen entlang der Grenze von Afrikanischer und Ägäischer Mikroplatte rekonstruieren. „Bei der Untersuchung des Hellenischen Bogens gehen wir 50.000 Jahre zurück. Das ist mehr als das Zehnfache des bisherigen Zeitfensters der Beobachtungen“, erklärt die Forscherin.
40 Starkbeben bei Kreta
Das Ergebnis: Während der vergangenen 50.000 Jahre gab es in der Region um Kreta mindestens 40 starke Erdbeben mit Magnituden größer als 8, wie die Forscher berichten. Die Küsten im Westen und Osten der Insel wurden dadurch insgesamt um etwa 100 Meter angehoben. Die Auslöser dieser Beben lagen in drei seismischen Bruchzonen, die sich entlang des westlichen und östlichen Teils des Hellenischen Bogens erstrecken.
Das aber bedeutet, dass die Erdbebengefahr im östlichen Mittelmeer bedeutend höher ist als bisher angenommen. Zwar durchläuft der Hellenische Bogen zurzeit eine Phase relativer seismischer Ruhe, dennoch müssen schwere Erdbeben unter West- und Ost-Kreta erwartet werden, warnen die Wissenschaftler: „Künftige Starkbeben werden die bisher relativ ruhigen Gebiete der Bruchzone im Osten Kretas zerreißen und damit sowohl die Erdbeben- als auch die Tsunamigefahr erhöhen.“
Wenn, dann gleich in Serie
Eine weitere Überraschung: Die Starkbeben traten früher meist in ganzen Serien auf: „Wir entdeckten, dass – im Gegensatz zu den meisten Subduktionszonen auf der Erde – die starken Erdbeben in zeitlicher Häufung auftraten“, erklärt Mouslopoulou. „Unsere Daten zeigen, dass die meisten der Paläo-Erdbeben in einer Zeitspanne von 10.000 Jahren stattfanden, während es auch Perioden von bis zu 20.000 Jahren mit relativer seismischer Ruhe gab.“
So brach die Störungszone unter West-Kreta offenbar zunächst alle 4.500 Jahre, vor etwa 20.000 Jahren reduzierte sich dieser Abstand auf nur noch alle 1.500 Jahre und ab 3.000 vor Christus bis zur Zeitenwende überhaupt nicht mehr. Ähnliches gilt nach Angaben der Forscher auch für die anderen beiden seismischen Zonen.
Und genau hier liegt das Problem: Die sehr uneinheitlichen und wechselnden Intervalle machen es schwer, die künftige Entwicklung vorherzusagen. Wann die momentane Ruhephase rund um Kreta zu Ende ist, bleibt offen. Dennoch raten die Forscher, Vorbeugungsmaßnahmen wie Tsunami-Frühwarnsysteme und erdbebensicheres Bauen zu treffen, um sich auf die erhöhte Erdbebengefahr einzustellen. (Geophysical Research Letters, 2015; doi:10.1002/2015GL066371, 30.11.2015)
(Deutsches GeoForschungsZentrum Potsdam, 02.12.2015 – NPO)