Geowissen

Umgekippte Erdplatte im Mittelmeer entdeckt

Auf dem Kopf stehende Ozeanplatte erklärt ungewöhnlich tiefe Beben in Südspanien

Mittelmeer
Verborgenes Phänomen: Unter dem westlichen Mittelmeer liegt ein abgetauchtes, mit der Oberseite nach unten gekehrtes Plattenstück. © NASA

Verkehrt herum: Unter dem westlichen Mittelmeer haben Geologen eine „umgekippte“ Erdplatte aufgespürt – die Oberseite dieser in die Tiefe gedrückten Ozeanplatte zeigt nach unten. Diese Entdeckung könnte erklären, warum im Süden Spaniens immer wieder ungewöhnlich tiefe Erdbeben auftreten. Sie verrät aber auch, dass die Subduktionszonen in diesem Teil des Mittelmeeres einst aktiver waren als heute. Denn erst durch die Rückverlagerung dieser Plattengrenzen wurde die untergetauchte Ozeanplatte mitgezogen und umgekippt.

Das Mittelmeer ist geologisch höchst komplex. Unter ihm verläuft die Plattengrenze zwischen Europa und Asien und dies hat im Laufe der Erdgeschichte zu tiefgreifenden Veränderungen und einem komplizierten Puzzle von Plattenfragmenten, versunkenen Kontinentresten und Verwerfungen geführt. So fiel das Mittelmeer vor rund sechs Millionen Jahren komplett trocken, um dann in einer katastrophalen Sturzflut wieder vollzulaufen. Auch die bisher älteste Ozeankruste der Erde wurde unter dem Mittelmeer entdeckt.

Bebenherd und Messnetz
Ein ganzes Netz seismischer Messtationen (blaue Dreiecke) ermöglichte es dem Team, den Untergrund beim tiefen Beben unter Granada (blauer Stern) genauer zu durchleuchten. © Sun et al./ The Seismic Record, CC-by 4.0

Häufung tiefer Beben unter Südspanien

Jetzt kommt eine weitere Entdeckung dazu. Anstoß dafür war die Frage, warum im Süden Spaniens häufiger ungewöhnliche tiefe Erdbeben auftreten. „Allein unter Granada hat es seit 1954 fünf größere Erdbeben mit Herdtiefen von mehr als 600 Kilometern gegeben“, berichten Daoyuan Sun von der Universität Hefei und Meghan Miller von der Australian National University in Canberra. Diese tiefen Beben unter Südspanien haben zudem keine Nachbeben und zeigen eine auffallende Lücke der seismischen Aktivität im Bereich zwischen 150 und 600 Kilometer Tiefe.

Für ihre Studie haben Sun und sein Team seismische Daten eines dieser tiefen Erdbeben genauer analysiert. Dabei werteten sie Daten von Seismometer-Netzwerken in Spanien und in Marokko aus, die die Erschütterungen dieses im April 2010 unter Granada aufgetretenen Bebens der Magnitude 6,3 aufgezeichnet hatten. „Eigentlich wollten wir uns die einzelnen Wellenmuster nur näher anschauen, um mehr über dieses Beben zu lernen“, sagt Sun.

Ungewöhnliche Wellenmuster

Doch dabei zeigte sich Ungewöhnliches: „Wir sahen diese merkwürdigen Wellen-Ankunftszeiten, darunter eine lange Coda und zusätzliche Phasen“, erklärt Sun. Als Coda bezeichnen Seismologen das Nachschwingen des Untergrunds am Ende eines Seismogramms. Diese Vibrationen hielten bei diesem Tiefbeben ungewöhnlich lange an. „Auf dem Weg dieser Wellen muss es demnach eine anomale Mantelstruktur geben“, so das Team.

Außerdem zeigte sich bei den Primärwellen des Bebens neben den normalen, früh eintreffenden Signalen ein zweiter, verzögerter Wellenschub. Dies spricht dafür, dass ein Teil der P-Wellen eine Zone passiert haben muss, in der diese seismischen Wellen um bis zu 20 Prozent abgebremst wurden. Um die Ursache für diese Anomalien zu ermitteln, versuchten die Forschenden diese Effekte mithilfe eines geophysikalischen Modells zu reproduzieren.

P-Wellen Laufzeiten
Eine zeitlich zweigeteilte Ankunft der seismischen P-Wellen lieferte erste Hinweise auf die Struktur des Untergrunds. © Sun et al./ The Seismic Record, CC-by 4.0

Oberseite nach unten gekehrt

Das Ergebnis: Grund für die Erdbeben und die merkwürdigen Bebenwellen ist ein in den Erdmantel hinuntergedrücktes Krustenstück, die sogenannte Alboran-Platte. Sie taucht an einer Verwerfung im westlichen Mittelmeerraum in die Tiefe ab. Typischerweise gehen Erdbeben von der wasserhaltigen Oberseite solcher abgetauchten Plattenstücke aus. Weiche, angeschmolzene Bremszonen für Bebenwellen liegen typischerweise immer an der Oberseite subduzierter Ozeanplatten.

Doch im Fall der südspanischen Tiefbeben ist dies anders: „Anders als normal hat dieses Plattenstück seine seismisch langsame Schicht an der Unterseite“, berichten die Geologen. Ihren Modellierungen zufolge muss diese Erdplatte demnach buchstäblich umgekippt sein – die ursprüngliche Oberseite liegt jetzt unten. Dadurch gelangten die noch wasserhaltigen Magnesium-Silikate der Plattenoberseite ungewöhnlich tief in den Erdmantel hinein.

Dies erklärt, warum die Bebenherde in dieser Region ungewöhnlich tief liegen: Sie gehen von der in rund 600 Kilometer Tiefe liegenden einstigen Oberseite der subduzierten Platte aus. „Die Herdregion der tiefen Erdbeben in Spanien könnte demnach eine Art Wassertank repräsentieren“, erklären die Forschenden.

gekippte Erdplatte
So veränderte die subduzierte Ozeanplatte ihre Lage. © Sun et al./ The Seismic Record, CC-by 4.0

„Rollback“ der Subduktion kippte die Platte um

Doch wie kam das Umkippen dieser abgetauchten Platte zustande? Den Modellsimulationen zufolge tauchte das subduzierte Krustenstück ursprünglich nach Südwesten hin unter eine relativ schnell nordwärts vorrückende Platte ab. Im Laufe der letzten rund fünf Millionen Jahre verlangsamte sich die Subduktion jedoch und die Plattengrenze verlagerte sich immer weiter zurück. Dabei wanderte sie dabei über das abgetauchte Plattenstück hinweg. Diese Rückverlagerung zog die subduzierte Platte am oberen Ende mit und kehrte ihre Unterseite nach oben.

„Ein solches Rollback der Subduktion verbunden mit kontinentaler Akkretion kann komplexe dreidimensionale Strukturen erzeugen, darunter auch umgekippte Plattenteile“, erklären Sun und sein Team. Sie vermuten, dass ähnliche geotektonische Prozesse und Plattenpositionen auch hinter anderen Gebieten mit tiefen Erdbeben stecken können, beispielsweise im Nordosten Chinas und Teilen Südamerikad oder Südostasiens. Ob das der Fall ist, können aber nur dichte seismische Netzwerke und ihre Daten klären. (The Seismic Record, 2024; doi: 10.1785/0320230049)

Quelle: Seismological Society of America

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