Rätselhafter Schwund: Vor rund 7.000 Jahren nahm die Zahl der Männer in Europa, Asien und Nordafrika plötzlich drastisch ab – nicht aber die der Frauen. Das belegt eine starke Verarmung der Genvielfalt auf dem Y-Chromosom. Doch was war Ursache für diesen Männerschwund? Eine mögliche Antwort könnten nun US-Forscher gefunden haben. Demnach führten damals wahrscheinlich ständige Kriege zwischen patrilinearen Clans zur Auslöschung ganzer Stammeslinien.
Die Menschheit hat schon häufiger sogenannte genetische Flaschenhälse durchlebt – Phasen, in denen die Zahl der Menschen und damit auch ihre genetische Vielfalt dramatisch abnahmen. Solche Rückschläge in der Populationsdichte gab es beispielsweise vor rund einer Million Jahren in Afrika sowie beim Ausbruch des Vulkans Toba vor rund 74.000 Jahren. Auch die Eroberung Amerikas durch die Europäer vor rund 500 Jahren rottete so viele Ureinwohner aus, dass dies bis heute Spuren in ihrem Erbgut hinterließ.
Nur noch ein Mann auf 17 Frauen
Doch einer dieser Einschnitte fällt aus dem Rahmen – und gibt bis heute Rätsel auf. Vor einigen Jahren entdeckten Forscher bei der Analyse von Y-Chromosomen heutiger Männer ein seltsames Phänomen: Bei fast allen fanden sich Spuren einer drastischen genetischen Verarmung vor rund 7.0000 Jahren. „Das sprach für eine Abnahme der männlichen Bevölkerung während der Jungsteinzeit auf nur noch ein Zwanzigstel ihres Ausgangswerts“, berichten Tian Chen Zeng von der Standford University und seine Kollegen.
Das Rätselhafte daran: Dieser drastische Rückgang traf damals nur die Männer – die Population und Genvielfalt der Frauen nahm während der gleichen Zeit sogar eher zu, wie Analysen der mitochondrialen DNA ergaben. Als Folge kamen damals in vielen Regionen Europas, Asiens und Afrikas 17 Frauen auf nur einen Mann.
Fahndung nach der Ursache
Wie aber ist dieser dramatische Männerschwund in der Jungsteinzeit zu erklären? Katastrophen, Klimawechsel oder andere Umweltfaktoren treffen meist beide Geschlechter gleichermaßen. Und selbst Seuchen hinterlassen bestenfalls geringe Unterschiede in der Genvielfalt von Männern und Frauen, wie Zeng und seine Kollegen erklären.
Eine weitere Möglichkeit wäre die Gründung neuer Populationsgruppen durch Einwanderung – doch es gibt keine archäologischen Hinweise für eine solche Migration in Asien, Europa und Afrika vor rund 7.000 Jahren. Auf der Suche nach den Ursachen des Männerschwunds haben Zeng und seine Kollegen nun einen kulturell-sozialen Faktor näher geprüft: Stammeskriege.
Wenn Männerclans kämpfen
Der Hintergrund dafür: Als die Menschen der Jungsteinzeit allmählich zu Bauern und Viehzüchtern wurden, organisierten sie ihre Gesellschaften vorwiegend als patrilineare Clans: Die Stammesgruppen bestanden aus miteinander verwandten Männern, während die Frauen oft aus anderen Stämmen kamen – oder erbeutet wurden.
„Wenn aber die Grundeinheit der soziopolitischen Konkurrenz eine patrilineare Verwandtschaftsgruppe ist, dann sind Todesfälle durch Fehden oder Kriege nicht zufällig verteilt“, erklären die Forscher. „Sie konzentrieren sich dann im Stammbaum der Männer. Die Auslöschung einer Gruppe entspricht dann der Auslöschung einer ganzen Verwandtschaftslinie.“
Simulation bestätigt Ablauf
Doch könnte eine Phase solcher Stammeskriege tatsächlich einen so drastischen Männerschwund verursacht haben? Um das zu prüfen, nutzten die Wissenschaftler Computersimulationen, in denen sie die Wirkung wiederholter und verbreiteter Kriege auf die genetische Vielfalt der ursprünglichen Stammeslinien testeten. Dabei ließe sie sowohl patrilineare Clans als auch anders strukturierte Gruppen virtuell gegeneinander antreten.
Das Ergebnis: „Unser Modell ergibt zwei erstaunliche Parallelen zum genetische Y-Chromosom-Flaschenhals“, berichten Zeng und seine Kollegen. „Erstens sind Simulationen mit Patrilinearität durch große Abnahme in der Diversität gekennzeichnet – sie erzeugen eine genetische Verarmung beim Y-Chromosom.“ Zweitens entwickelte sich mit der Zeit eine Dominanz nur noch weniger Stammeslinien – auch das entspricht den Gendaten.
Genetische Krise war „hausgemacht“
Nach Ansicht der Forscher könnte der mysteriöse Männerschwund der Steinzeit demnach menschengemacht sein: Die Ursache waren wahrscheinlich ständige Kriege und Kämpfe zwischen Clans aus eng miteinander verwandten Männern. Im Laufe der Zeit dezimierte dieses Blutvergießen die Männerwelt so stark, dass viele Stammeslinien komplett verschwanden – und mit ihnen die genetische Vielfalt.
„Unsere Analyse spricht dafür, dass diese soziokulturelle Hypothese die Erklärung für den genetischen Flaschenhals vor 7.000 Jahren liefert“, so Zeng und seine Kollegen. (Nature Communications, 2018; doi: 10.1038/s41467-018-04375-6
(Stanford University, 04.06.2018 – NPO)