Neandertaler haben rote Farben schon rund 200.000 Jahre früher genutzt als bisher angenommen. Darauf deuten 250.000 Jahre alte Reste eines pulverisierten Eisenminerals hin, die Archäologen bei einer Ausgrabung im niederländischen Maastricht-Belvédère entdeckten. Die aus dem Mineral Hämatit bestehenden Farbreste wurden in einer frühen Lagerstelle von Neandertalern gefunden – in einer Gegend, in der natürlicherweise kein Hämatit vorkommt. Das lege nahe, dass die Neandertaler sie gezielt zu dieser Lagerstelle transportiert hatten, berichtet das internationale Forscherteam im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
„Die kleinen Hämatitflecken zeugen von der frühesten bekannten Nutzung dieses Materials in der Geschichte der Neandertaler“, schreiben Wil Roebroeks von der Universität Leiden in den Niederlanden und seine Kollegen. Bisher sei man davon ausgegangen, dass die Neandertaler frühestens vor rund 60.000 Jahren Farbstoffe kennenlernten und gezielt verwendeten. Doch der jetzige Fund verschiebe diesen Zeitpunkt nun auf bis zu 250.000 Jahre vor heute.
Nach Ansicht der Forscher deutet die Anordnung der nur zwei bis neun Millimeter großen Farbpulver-Flecken darauf hin, dass die Neandertaler die Farbe ursprünglich als Flüssigkeit angerührt hatten. „Tropfen dieser roten Farbflüssigkeit fielen wahrscheinlich während ihrer Verwendung auf den Boden und blieben dort im Sediment erhalten“, sagen die Forscher.
Verwendungszweck der Farbe noch unbekannt
Wozu die Neandertaler die rote Farbe benutzten, ist noch ungeklärt. Aus den Funden an der Ausgrabungsstelle lasse sich nicht ablesen, ob die Frühmenschen die Farbe symbolisch, zum Beispiel als Teil von Ritualen, verwendeten oder aus rein praktischen Gründen, beispielsweise zur Insektenabwehr, zum Gerben von Fellen oder als Medizin. Letzteres sei auch heute noch in vielen Jäger-und-Sammler-Völkern verbreitet.
Der Fund zeige aber, dass die Neandertaler Farbstoffe schon mindestens ebenso früh nutzten wie unsere frühesten direkten Vorfahren in Afrika, sagen die Wissenschaftler. Im südafrikanischen Twin Rivers habe man ähnliche Farbreste bei 200.000 bis 300.000 Jahre alten Relikten des frühen Homo sapiens gefunden.
Farbmineral stammte nicht aus der Gegend
Wie die Forscher berichten, sind die Hämatitreste zudem der früheste Beleg für einen Transport solcher Farbstoffe über Dutzende von Kilometern hinweg. Sie hatten insgesamt 1.200 Quadratmeter Boden in der Umgebung der Fundstätten und tausende von Metern Flusssedimente der nahegelegenen Maas nach weiteren Hämatiten durchwühlt. Aber an keinem dieser Stellen habe man die Mineralien gefunden. „Daher können die Hämatitreste kein natürlicher Bestandteil der Sedimente im Maastricht-Belvédère-Gebiet gewesen sein“, meinen Roebroeks und seine Kollegen.
Das nächstgelegene natürliche Vorkommen von Hämatiten liege 40 Kilometer entfernt in den Ardennen und in der Eifel, sagen die Forscher. Dort seien bereits mehrfach steinzeitliche Werkzeuge aus der Maas-Region gefunden worden. Möglicherweise habe daher in der Mittelsteinzeit zwischen beiden Gebieten ein Austausch in beide Richtungen geherrscht: Die Neandertaler brachten Werkzeuge in die Eifel und nahmen sich dafür Farbmineralien mit. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2012; doi: 10.1073/pnas.1112261109)
(Proceedings of the National Academy of Sciences / dapsd, 24.01.2012 – NPO)