Unerforschte Tiefen: Eine neue Karte zeigt den Grund des Nordpolarmeeres so genau und umfassend wie nie zuvor. Die bathymetrische Karte deckt dreimal so viel Fläche ab und hat eine doppelt so hohe Auflösung wie frühere Versionen. Sie enthüllt Rippen, Senken und Gräben am Meeresgrund, die die Strömungen und Eisbewegungen des arktischen Ozeans beeinflussen. Auch zum politisch umkämpften Lomonossow-Rücken gibt es neue Daten.
Der Meeresgrund des Nordpolarmeeres gehört zu den am wenigsten erforschten und kartierten Gebieten der Erde – ist aber von globaler Bedeutung. Denn die Bathymetrie des arktischen Untergrunds beeinflusst marine und klimatische Prozesse, ist für die künftige Schifffahrt durchs Nordpolarmeer wichtig und spielt eine entscheidende Rolle für die Zuordnung arktischer Ressourcen zu bestimmten Ländern.
Der größte Teil ist unzugänglich
Das Problem jedoch: Weil große Teile des Nordpolarmeeres das ganze Jahr hindurch von Eis bedeckt sind, ist eine Kartierung des Meeresgrunds vielerorts kaum möglich. Messungen von Schiffen aus lassen sich nur dort durchführen, wo das Meer im Sommer eisfrei ist oder sich Eisbrecher einen Weg bahnen können. Unter dem Meereis können nur Atom-U-Boote den Untergrund mit Sonar abtasten und kartieren. Entsprechend lückenhaft ist das Wissen: Die 2012 veröffentlichte internationale bathymetrische Karte des arktischen Ozeans lieferte nur für 6,7 Prozent des Meeresgrunds lokale Tiefenmessungen.
Deshalb hat ein internationales Team um Martin Jakobsson von der Universität Stockholm in den letzten Jahren die neuesten Messungen von Schiffen, Flugzeugen und U-Booten zusammengetragen und eine neue Version der Arktis-Karte zusammengestellt. Die Karte wird nun als International Bathymetric Chart of the Arctic Ocean (IBCAO) 4.0 der neue Standard.
Knapp 20 Prozent des arktischen Grunds erfasst
Die neue Karte umfasst dank neuer Daten und der modernsten Sonargeräte nun lokale Tiefendaten zu 19,8 Prozent des arktischen Meeresgrunds – rund dreimal mehr als zuvor. Damit enthüllt sie nun auch unterseeische Landschaftsformen neuer, nie zuvor erkundeter Gebiete. Zudem liegt die Auflösung nun bei 200 Metern im Vergleich zu früher nur 500 Metern, wie die Forscher berichten. Damit erweitert und präzisiert sich der Blick auf die Strukturen am Grund des Nordpolarmeeres beträchtlich.
„Ein gutes Beispiel dafür ist der Uummannaq-Fjord in Westgrönland. Denn er enthüllt submarine, vom Eis geschaffene Landschaftsformen, die sich über hunderte von Metern erstrecken“, berichten Jakobsson und sein Team. Die Karte zeigt, dass die Bewegung der Gletscher und Eisberge dort tiefe Kerben, aber auch aufgetürmte Rippen hinterlassen hat. Gleichzeitig liefern die Daten wichtige Hinweise darauf, wie der Eisfluss der Küstengletscher durch submarine Erhebungen oder Senken beeinflusst wird.
Neuer Blick auf den Lomonossow-Rücken
Von großer geografischer und politischer Bedeutung ist die genauere Kartierung des Lomonossow-Rückens. Dieser rund 1.800 Kilometer lange unterseeische Gebirgszug reicht vom sibirischen Nordmeer über den Nordpol bis an die Schelfgebiete Grönlands und Kanadas. Der Rücken teilt damit den arktischen Ozean in ein eurasisches und ein amerasisches Becken und spielt damit unter anderem eine wichtige Rolle für die Wasserzirkulation im Nordpolarmeer.
„Die jüngste Kartierung auf Basis von Eisbrecherdaten enthüllte die Präsenz von Rippen am Grat des Rückens, die den Wasseraustausch zwischen den beiden Meeresbecken beeinflussen“, berichten die Wissenschaftler. Auch Schrammen von driftenden und auf Grund laufenden Packeisflächen sind an den Erhebungen des Lomonossow-Rückens zu erkennen.
Politisch relevante Daten
Die Brisanz des Lomonossow-Rückens liegt aber darin, dass er aus kontinentalem Gestein besteht und damit einst zu einem der umgebenden Festlandssockel gehörte. Zu welchem, darüber streiten seit Jahren Russland, Dänemark und Kanada. Denn das Seerecht besagt, dass die nationale Wirtschaftszone eines Landes dann über die 200-Meilengrenze hinaus ausgeweitet werden kann, wenn der Meeresgrund davor auch noch zum Festlandssockel dieses Landes gehört.
Das bedeutet: Wer nachweisen kann, dass der Lomonossow-Rücken zu seinem Gebiet gehört, der erwirbt auch das Recht, die reichen Rohstoffvorkommen des arktischen Ozeans abzubauen. Bisher haben alle Anrainerländer Anspruch erhoben und Gutachten eingereicht, eine Entscheidung aber steht noch aus. Entsprechend wichtig sind die bathymetrischen Daten der neuen Karte. Sie liefert neue Daten dazu, wo der Fuß der Gebirgshänge liegt – und damit auch mögliche Hinweise zum kontinentalen Verbindungen. (Scientific Data, 2020; doi: 10.1038/s41597-020-0520-9)
Quelle: Universidad de Barcelona