Unser Meer hat Fieber: Die Nordsee war in den letzten Monaten wärmer als je zuvor gemessen, wie vor Helgoland erhobene Daten belegen. Sowohl die Wassertemperaturen im Jahr 2023 als auch in den ersten Monaten des Jahres 2024 waren die höchsten je gemessenen. Hinzu kommt, dass die Nordsee seit den 1990er Jahre auch immer häufigere und länger anhaltende marine Hitzewellen durchlebt. Das hat Folgen für das Ökosystem des Meeres.
Die Ozeane sind die wichtigsten Klimapuffer unseres Planeten: Sie nehmen rund 90 Prozent der überschüssigen Wärme auf, die durch den anthropogenen Klimawandel entsteht. Doch das bleibt nicht ohne Folgen: Das Wasser der Meere heizt sich immer weiter auf, ihre Strömungen und Schichtung verändern sich und marine Hitzewellen nehmen an Häufigkeit und Intensität immer weiter zu. Auch in Nord- und Ostsee machen sich diese Veränderungen bemerkbar und die Wassertemperaturen steigen.
Nordsee so warm wie nie
Jetzt gibt es einen neuen Rekord: Die Nordsee war im Jahr 2023 so warm wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen, wie Forschende um Luis Giménez von der Biologischen Anstalt Helgoland (BAH) am Alfred-Wegener-Instituts (AWI) ermittelt haben. Sie hatten dafür die seit 1962 regelmäßig erhobenen Wassertemperatur-Daten der Helgoland Reede ausgewertet.
Das Ergebnis: Im Jahr 2023 lag die mittlere Wassertemperatur der Nordsee bei knapp 11,9 Grad Celsius. „Damit war 2023 ein Rekordjahr seit Beginn unserer Langzeitdatenreihe in 1962“, sagt Inga Kirstein von der BAH. Diese Entwicklung zeichnete sich bereits im Januar des letzten Jahres ab, als mit rund 7,2 Grad der zweitwärmste gemessene Januar erreicht wurde. Als Hauptgrund für die starke Erwärmung der Nordsee sieht das Team die hohen Lufttemperaturen 2023, die auch in anderen Ozeanen zu neuen Rekorden führten.
Hinzu kommt: „Die Nordsee erwärmt sich so schnell, weil sie ein Flachmeer ist, das von Landmassen umgeben ist – wie eine große Pfütze“, erklärt Kirstein. Deshalb werde die Nordsee besonders stark von den Lufttemperaturen und denen des umgebenden Festlands beeinflusst.
Marine Hitzewellen häufen sich
Doch es gibt noch eine weitere bedenkliche Entwicklung: Die Nordsee ist auch immer häufiger von marinen Hitzewellen betroffen, wie Giménez und seine Kollegen ermittelten. Demnach hat die Häufigkeit und Dauer von starken marinen Hitzewellen in der Nordsee seit den 1990er Jahren deutlich zugenommen. „Neun der zehn schwerwiegendsten Hitzewellen ereigneten sich nach 1990″, berichtet das Team. Die meisten dieser anomalen Wärmeperioden traten parallel zu starken Hitzewellen an Land auf. Besonders häufig ereigneten sie sich zudem im Spätsommer und Herbst.
Seit 1990 beobachten die Meeresforscher auf Helgoland und Sylt zudem neue Temperaturmuster. Im Sommer gibt es demnach deutlich mehr wärmere Tage und im Winter deutlich weniger extrem kalte Tage. „So hatten wir zwischen 1962 und 1990 noch insgesamt 24 Monate mit einer durchschnittlichen Temperatur von unter drei Grad Celsius, seit 1990 sind es nur fünf Monate.“, so das Team. Höhere Temperaturen treten zudem immer früher im Jahr auf.
„Die Deutsche Bucht hat insbesondere nach den 1990er Jahren einen erheblichen Temperaturanstieg erlebt“ sagt Karen Wiltshire, Direktorin der BAH. Und der Trend reißt auch in diesem Jahr nicht ab: Januar, Februar, März und April 2024 waren die jeweils wärmsten Monate seit 1962.
Erste Veränderungen der Meereswelt
Für die Lebenswelt der Nordsee und ihr Ökosystem hat diese Erwärmung erhebliche Folgen. Schon jetzt zeigen sich erste Veränderungen in der Häufigkeit von Arten oder der Zusammensetzung von Gemeinschaften. „Meeresorganismen reagieren vielfältig auf Klimaveränderungen. Wir sehen diese Veränderungen in unseren Untersuchungen und erforschen gerade, wie sich marine Hitzewellen auch auf das planktonische Nahrungsnetz auswirken, also zum Beispiel auf die Zusammensetzung oder die Häufigkeit (Abundanz) von Plankton-Gemeinschaften und einzelnen Arten“, berichtet Kirstein.
In einer Mesokosmos-Studie konnten AWI-Wissenschaftler bereits zeigen, dass der gleichzeitige Einfluss von Erwärmung, Versauerung und verändertem Nährstoff-Verhältnis die Dynamik des Nordsee-Planktons verändert, wobei kleinere Arten begünstigt werden. Dies kann sich wiederum auf marine Nahrungsnetze auswirken, denn Plankton ist die Lebensgrundlage vieler Meereslebewesen. (Limnology and Oceanography, 2024; doi: 10.1002/lno.12521)
Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung