Stabile Stichwaffen: Die Einwohner von Neuguinea haben aus den Oberschenkelknochen ihrer Ahnen und Feinde Knochendolche geschnitzt. Diese waren im Vergleich zu Waffen aus Vogelknochen besonders stark gewölbt. Dadurch waren sie stabiler und brachen nicht so schnell ab wie ihre Gegenstücke vom Vogel. Die Wissenschaftler vermuten, dass durch die bessere Konstruktion der Symbolwert der Waffe und das soziale Prestige länger erhalten bleiben sollte.
Früher waren Dolche aus Knochen auf der Insel Neuguinea weit verbreitet. Für die Einheimischen waren sie sowohl Statussymbol als auch Waffe. Primär setzten Männer die Dolche im Nahkampf ein und stießen sie ihren Opfern in den Nacken, die Hüfte und Gelenke. Zuvor mussten sie sich die reichverzierten Waffen jedoch als Zeichen ihrer Tapferkeit im Kampf oder bei der Jagd verdienen.
Die meisten Dolche wurden aus den Beinknochen des Kasuars geschnitzt. Diese bis zu zwei Meter großen, flugunfähigen Vögel gelten als besonders aggressiv und kampflustig – wer einen Kasuar erlegte, verdiente sich viel Anerkennung. Weit seltener waren Dolche aus Menschenknochen. Sie wurden aus den Oberschenkelknochen von Ahnen und Feinden gefertigt und waren ungemein kostbar. Beide Dolchtypen unterscheiden sich in ihrer Konstruktion, über den Grund konnten Wissenschaftler bisher aber nur rätseln.
CT-Daten und Bruchtest füttern Simulation
Um das Rätsel zu lösen, scannten Nathaniel Dominy vom Dartmouth College in Hanover und seine Kollegen jeweils fünf Dolche aus Kasuar- und Menschenknochen mit einem Computertomografen (CT) und verglichen ihre Form und Stabilität. Die Dolche stammten aus einem Museum und durften natürlich nicht beschädigt werden. Deswegen führten die Forscher den Belastungstest mit einem kürzlich hergestellten und eigens gekauften Kasuar-Dolch durch.
Die Wissenschaftler gingen davon aus, dass bei einer Attacke etwa 20 Prozent der Dolchlänge in den Feind eindringen würden. Deswegen spannten sie diesen Teil der Dolchspitze in einen Schraubstock und übten Druck auf den Griff aus. Da sich Vogel- und Menschenknochen in ihrer Stabilität sehr gleichen, war ein Test mit einem antiken Dolch aus Menschenknochen unnötig. Die komplexen Daten aus CT und Bruchtest speisten die Forscher in eine Simulationssoftware ein, welche Auskunft über Stabilität und Elastizität der beiden Dolchtypen gab.
Dolche aus Menschenknochen sind stabiler
Die CT-Scans bestätigten den ersten Eindruck der Wissenschaftler. Die Dolche aus Menschenknochen waren im Querschnitt zwar etwa genauso dick wie die Vogelklingen, dafür aber deutlich stärker gewölbt. Das deutet laut den Autoren auf eine „überlegene mechanische Leistungsfähigkeit“ hin.
Die Belastungssimulationen bestätigten diese Vermutung: Die menschlichen Klingen waren stabiler und widerstanden der virtuellen Belastung weitaus besser als ihre Gegenstücke aus Vogelknochen. Das bedeutet, dass Kasuardolche im Ernstfall eher dazu neigen, im Körper des Feindes abzubrechen. Beschädigte Dolche verlieren jedoch ihren Wert als Statussymbol. Die Einwohner von Neuguinea haben demnach durch eine andere Fertigungsmethode einen stabileren Dolch geschaffen.
Bewahrung des Prestige
Den Wissenschaftler fragten sich nun, warum die Inselbewohner nur die Dolche aus den Menschenknochen stabiler konstruierten: Sind Menschenknochen vielleicht einfach brüchiger als die von Vögeln? Das konnten die Forscher ausschließen, denn der Kasuarknochen war genauso steif und zugfest, wie es auch für trockene Menschenknochen beschrieben wurde. Die Wölbung in menschlichen Dolchen war demnach nicht dazu vorgesehen, einen schwächeren Knochen auszugleichen.
Die Forscher vermuten stattdessen, dass es den Einwohnern von Neuguinea auf Haltbarkeit ankam. „Im Falle eines Bruchschadens kann der Knochendolch eines Kasuars leicht ersetzt werden, ein Dolch aus Menschenknochen hingegen nicht“, erklären die Autoren. „Wir vermuten, dass die Menschen in Neuguinea Dolche aus Menschenknochen so konstruiert haben, um einem Entzweibrechen vorzubeugen.“
Dadurch wollten die Handwerker die symbolische Stärke und das soziale Prestige der unersetzbaren Schmuckwaffen bewahren, so die Forscher. (Royal Society Open Science, 2018; doi: 10.1098/rsos.172067)
(Royal Society Open Science, 26.04.2018 – YBR)