Rückblick in die Zeit von Richard Löwenherz: In den Kreuzzügen kämpften nicht nur europäische Christen gegen die Araber – auch viele Einheimische stellten sich auf die Seite der Kreuzfahrer. Das enthüllen nun DNA-Analysen von Toten aus einem Kreuzfahrergrab im Libanon. Demnach kamen nur drei dieser Kreuzfahrer aus Europa, vier stammten aus dem Nahen Osten. Interessant auch: Zwei weitere Kämpfer waren offenbar Söhne von Kreuzfahrern und einheimischen Frauen.
Die Kreuzzüge waren eine prägende Ära für die Geschichte Europas und des Nahen Ostens. In der Zeit von 1095 bis 1291 zogen hunderttausende von Kreuzrittern und Fußsoldaten aus verschiedenen Regionen Europas ins Heilige Land, um Jerusalem und die heiligen Stätten des Christentums aus den Händen der Moslems, darunter auch dem legendären Sultan Saladin, zu befreien. Aber obwohl über diese Zeit einiges überliefert ist, bleiben viele Fragen über die Kreuzzüge und ihre Teilnehmer offen.
Spurensuche im Kreuzfahrer-Grab
„Wir wissen zwar, dass Richard Löwenherz an den Kreuzzügen teilnahm, aber über die normalen Soldaten, die bei diesen Feldzügen mitzogen und starben, wissen wir kaum etwas“, sagt Chris Tyler-Smith vom Wellcome Sanger Institute. Ebenso unklar ist bisher, ob die Kreuzritter und ihre Armeen genetische Spuren bei den Menschen des Nahen Ostens hinterlassen haben: Zeugten sie Nachkommen mit einheimischen Frauen und ließen sich einige vielleicht sogar dauerhaft dort nieder?
Um das zu klären, haben Tyler-Smith, sein Kollege Mark Haber und ihr Team das Erbgut von neun männlichen Toten analysiert, die während der Kreuzzüge in einem Massengrab bei Sidon im Libanon begraben wurden – einer alten Festung der Kreuzritter. Die Verletzungen der Männer, Schuhschnallen europäischer Machart und Münzen aus Italien sprechen dafür, dass es sich bei den Toten um Kreuzzugs-Teilnehmer handelt. Doch woher kamen sie?
Seite an Seite mit Einheimischen
Die DNA-Analysen enthüllten: Nur drei dieser Kreuzzugs-Soldaten waren europäischer Herkunft. Zwei von ihnen kamen wahrscheinlich aus Spanien, der dritte war genetisch am engsten mit den heutigen Bewohnern Sardiniens verwandt, wie die Forscher berichten. Diese Toten entsprechen damit dem klassischen Bild der in Europa angeworbenen Kreuzfahrer, die sich von der Teilnahme an dieser „göttlichen Mission“ Seelenheil und auch Reichtümer erwarteten.
Die sechs anderen Toten jedoch kämpften zwar im christlichen Heer, waren aber keine Europäer: Vier von ihnen stammten aus dem Nahen Osten und waren genetisch eng mit den ortsansässigen Libanesen verwandt. „Das stützt historische Überlieferungen nach denen lokale Christen die Kreuzfahrer unterstützten – als Fußsoldaten oder sogar indem sie Marschälle und Ritter wurden“, erklären die Wissenschaftler.
Auch die Söhne kämpften mit
„Unsere Ergebnisse eröffnen uns einen beispiellosen Blick in die Herkunft der Menschen, die in der Kreuzzugsarmee kämpften“, sagt Haber. Demnach war dieses Heer deutlich heterogener zusammengesetzt als vielfach angenommen – und es waren nicht nur Europäer, die gegen die Araber kämpften: „Die Kreuzfahrer und ihre Verbündeten aus dem Nahen Osten lebten, kämpften und starben Seiten an Seite“, so die Forscher.
Interessant auch: Viele der aus Europa kommenden Kreuzfahrer blieben nicht nur Jahrzehnte im Kampfgebiet – einige gründeten dort auch Familien. Das belegt die DNA von zwei der neun toten Soldaten. Denn sie spricht dafür, dass diese Männer gemischter Herkunft waren – ein Elternteil war europäisch, das andere libanesisch. „Die Kreuzfahrer hatten demnach Beziehungen mit lokalen Frauen und deren Söhne nahmen dann auf Seiten der Christen am Kampf teil“, erklärt Haber.
Genetisches Erbe ist verschwunden
Allerdings: Lange blieb der Einfluss der Kreuzzüge nicht bestehen. Das christliche Heer verlor nach unzähligen verlustreichen Schlachten gegen die Armeen des Sultans Saladin und musste sich endgültig aus dem Heiligen Land zurückziehen. Und selbst im Erbgut der Bevölkerung hinterließen die Kreuzfahrer kaum Spuren, wie Haber und sein Team herausfanden. Demnach sind bei den heutigen Libanesen keine Hinweise auf die Einmischung europäischer DNA mehr erkennbar.
„Wenn man die Genetik der heutigen Libanesen mit der von Menschen aus der römischen Zeit in dieser Region vergleicht, sieht man eine scheinbare Kontinuität“, sagt Haber. „Man würde nicht erkennen, dass es dazwischen eine Zeit gab, in der auch Europäer und Menschen gemischter Herkunft im Libanon lebten.“ (American Journal of Human Genetics, 2109; doi: 10.1016/j.ajhg.2019.03.015)
Quelle: Cell Press, Wellcome Sanger Institute