Tyrannosaurier gelten als die Riesen der Kreidezeit, als gewaltige Fleischfresser und Top-Jäger ihrer Ära. Doch eine jetzt in „Science“ erschienene Neubewertung ihrer Stammesentwicklung zeigt, dass viele der etablierten Vorstellungen nicht mehr stimmen. So waren T.rex und Co. die meiste Zeit ihrer Evolution eher klein, keineswegs immer die grimmigen Einzelgänger und auch ziemlich unterschiedlich geformt.
Der Tyrannosaurus rex ist nicht nur der bekannteste Dinosaurier überhaupt, er hat auch unser Bild der Tyrannosaurier entscheidend geprägt. Für die meisten Menschen sind sie die Herrscher der Kreidezeit, gewaltige Fleischfresser, die aufrecht umherliefen, Pflanzenfresser jagten und ihren Lebensraum dominierten. Doch haben Paläontologen neue Funde gemacht, die ein ganz neues Licht auf die Evolution der kreidezeitlichen „Schreckensechsen“ werfen. Sie erfordern nichts weniger als ein völliges Umdenken in Bezug auf viele liebgewonnene Vorstellungen über T.rex und Co.
Neuer Stammbaum der Tyrannosaurier
„Wir wissen mehr über den Tyrannosaurus als über jede andere Gruppe der Dinosaurier – selbst mehr als über einige Gruppen von lebenden Tieren“, erklärt Stephen Brusatte, Forscher am American Museum of Natural History. „Im Laufe des letzten Jahres, sind fünf neue Arten des Tyrannosaurus beschrieben worden und in den letzten zehn Jahren haben wir die ältesten und die kleinsten Mitglieder dieser Gruppe entdeckt. Jetzt verstehen wir die Familienstammbaum der Tyrannosaurier in bisher unerreichbarem Detail.“
In der jetzt in „Science“ erschienenen Studie hat ein internationales Forscherteam unter Leitung des American Museum of Natural History die jüngsten Erkenntnisse noch einmal zusammengefasst und die Entwicklungsgeschichte der Tyrannosaurier auf dieser Basis neu aufgerollt. Für den bisher umfassendsten Stammbaum dieser Tiergruppe werteten die Wissenschaftler 300 verschiedene Merkmale bei 19 gut dokumentierten Tyrannosauriden-Fossilien aus.
Die meiste Zeit im Schatten der „Großen“
So waren die Tyrannosaurier keineswegs immer die riesenhaften Fleischfresser und Top-Carnivoren ihrer Zeit. Neue Funde belegen, dass sie im Gegenteil 80 Millionen Jahre lang und damit die meiste Zeit ihrer Evolution, eher klein bis mittelgroß waren. Während dieser Phase dominierten nicht sie, sondern andere große Fleischfresser wie Allosaurus oder Megalosauriden das Land. Erst in den letzten 20 Millionen Jahren der Kreidezeit entwickelten sich Tyrannosaurus rex und die anderen Vertreter der Gruppe zu den großen Raubsauriern, die ihr Bild bis heute prägen. Sie erreichten dann Lägen von 13 Metern und mehr und wogen fünf bis acht Tonnen und wurden so zu den größten Fleischfressern ihrer Zeit.
Alle Größen zu allen Zeiten
Bis vor kurzem nahm man zudem an, dass die Körpergröße der Tyrannosauriden im Laufe der Zeit allmählich und stetig zunahm, parallel zur Akkumulation von immer typischen T.rex-Merkmalen. Doch neue Funde haben diese Vorstellung nun wiederlegt. Denn sie zeigen, dass riesenhafte Vertreter dieser Gruppe schon sehr früh in der Entwicklung auftraten, beispielsweise in Form des rund zehn Meter langen Proceratosauriden Sinotyrannus aus der frühen Kreidezeit. Andererseits aber gab es auch in der Ära der großen Tyrannosauriden am Ende der Kreidezeit durchaus kleine Vertreter, wie beispielsweise den zu einer Außengruppe gehörenden nur zwei bis drei Meter großen Raptorex. Nach Ansicht der Forscher deutet dies darauf hin, dass die Größenvariabilität unter den Verwandten des T.rex weitaus größer war als bisher angenommen. Zudem erhärten sich Hinweise darauf, dass die unmittelbaren Vorfahren der Tyrannosauriden kleine Tiere gewesen sind.
„Der T. rex ist in Wirklichkeit nur die Spitze des Eisberg der gesamten Tyrannosauriervielfalt und ehrlich gesagt ist er ziemlich anormal verglichen mit anderen Mitgliedern seiner Gruppe“, so Brusatte. „Die meiste Zeit ihrer evolutionären Geschichte waren die Tyrannosaurier klein und lebten im Schatten anderer riesenhafter Top-Prädatoren. Sie blieben bis zum Ende der Kreidezeit so klein – bis auf die letzten 20 Millionen Jahre der Dinosauriergeschichte.“
Vermeintlich typische Merkmale keine Erfindung des T.rex
Und auch die typischen Merkmale des Tyrannosaurus – ein großer Schädel mit kräftigen Kiefern, verstärkten Schädelnähten und starken Zähnen, aber winzige, verkümmerte Vorderbeine – entwickelten sich anders als gedacht. Sie sind offenbar nicht eine den Tyrannosauriden eigene Anpassung an eine fleischfressende Lebensweise bei extremer Größe, sondern kommen auch bei kleineren und nicht zur engeren Verwandtschaftsgruppe gehörenden Dinosauriern vor. Funde deuten darauf hin, dass schon die kleinen Vorläufer der Tyrannosauriden viele dieser charakteristischen Merkmale besaßen.
Neue Einblicke in Biologie und Lebensweise
Die zahlreichen Funde und ausreichend Forschungsgelder ermöglichten es in den letzten Jahren Wissenschaftlern, auch Verhalten, Lebensweise und Biomechanik der Tiere näher in Augenschein zu nehmen. In teilweise aufwändigen Rekonstruktionen und Simulationen enthüllten Studien beispielsweise die genaue Anatomie des Gehirns, aber auch die Wachstumsgeschwindigkeit oder Schnelligkeit der Fleischfresser. „Tyrannosaurus rex ist der Popstar unter den Dinosauriern”, erklärt Mark Norell, Kurator der paläontologischen Abteilung des American Museum of Natural History. „Seine Berühmtheit hat es ermöglicht, Fragen zu erforschen, die normalerweise bei Fossilien nicht untersucht werden können wie Knochenwachstum, Biomechanik und Neurologie.“
Im Rudel statt als Einzelgänger
So ist betonen die Autoren der aktuellen Studie, dass der T.rex keineswegs der ausgesprochene Einzelgänger war, als der er gerne dargestellt wird. Stattdessen zeigen Ausgrabungen von mehreren Skeletten an einer Fundstelle, dass die Tyrannosaurier mindestens zeitweilig in Rudeln gelebt und möglicherweise auch gejagt haben müssen. Auch die Frage, ob er lebende Beute jagte oder Aasfresser war, ist inzwischen beantwortet: Er war vermutlich beides, wie viele heute lebenden Fleischfresser auch. Bissspuren an Skeletten in „Friedhöfen“ von pflanzenfressenden Dinosauriern deuten auf das Fressen von Aas hin, andererseits gibt es zahlreiche Belege für Beutetiere, die offenbar im letzten Moment entwischen konnten und deren Bisswunden zu Lebzeiten noch verheilten.
„Die Forschung der Tyrannosaurier unterstreicht, wie viel moderne Technologien und Verfahren dazu beitragen können, die Biologie fossiler Organismen zu verstehen“, erklärt Norell. „Viele von uns sehen sich selbst heute eher als Biologen, die nun mal zufällig an Dinosauriern arbeiten.“
(American Museum of Natural History / Science, 20.09.2010 – NPO)