Klima

Nordpol: Erster eisfreier Tag schon vor 2030

Der komplette Verlust des Meereises im Nordpolarmeer hätte Folgen auch für Mitteleuropa

Eis am Nordpol
Schon jetzt ist das Eis am Nordpol im Sommer extrem ausgedünnt. In wenigen Jahren könnte das arktische Meer seinen ersten komplett eisfreien Tag erleben. © Céline Heuzé

Fatale Kaskade: Der Nordpol könnte noch vor dem Jahr 2030 zum ersten Mal komplett eisfrei sein – vielleicht sogar schon im Jahr 2027, wie neue Klimaprognosen nahelegen. Demnach reicht der aktuelle Stand der Erwärmung schon aus, um bei Kombination von dünnem Meereis im Herbst und einem warmen Winter den kompletten Meereisverlust im folgenden Sommer auszulösen. Die Folgen wären auch in Mitteleuropa zu spüren, unter anderem durch mehr und stärkere Wetterextreme, wie Forschende in „Nature Communications“ berichten.

Die Arktis und das Nordpolarmeer sind besonders stark vom Klimawandel betroffen – das ist nicht neu. Schon seit Jahren schrumpft die arktische Meereisfläche, das Meereis wird zudem dünner und saisonaler. Gleichzeitig geht der Eisdrift im Nordpolarmeer zunehmend der Nachschub aus. Während der MOSAiC-Expedition im Jahr 2020 war der Nordpol bereits problemlos per Schiff erreichbar. Bisherige Prognosen gingen davon aus, dass der Nordpol noch vor 2050 zum ersten Mal komplett eisfrei sein könnte.

Wann ist der erste eisfreie tag?

Doch wie jetzt neue Klimaprognosen zeigen, könnte der erste eisfreie Tag am Nordpol schon deutlich früher eintreten. Für ihre Studie hatten Céline Heuzé von der Universität Göteborg und Alexandra Jahn von der University of Colorado in Boulder mehrere Klimamodelle genutzt, um die Zukunft des arktischen Meereises ausgehend vom Klimazustand 2023 vorherzusagen. Als eisfrei gilt das Nordpolarmeer, wenn die Meereisfläche unter eine Million Quadratkilometer Fläche sinkt.

„Wir haben untersucht, wie lange es von einer Meereisfläche wie beim Minimum 2023 bis zum ersten eisfreien Tag dauert“, so die Forscherinnen. Als Basis nutzten Heuzé und Jahn Klimamodelle, wie sie auch dem letzten Bericht des Weltklimarats IPCC zugrunde lagen. „Wir haben damit so viele Simulationen wie möglich durchgeführt“, sagt Jahn. Anders als frühere Prognosen nutzten sie tagesgenaue Eisdaten als Grundlage statt der bisher gängigen monatlichen Mittelwerte.

Resulate der Simulationen
Ergebnisse von neun verschiedenen Simulationen im Überblick. © Heuzé und Jahn / Nature Communications, CC-by 4.0

Im Extremfall schon in drei Jahren

Das Ergebnis: „Der früheste eisfreie Tag im arktischen Ozean könnte schon drei Jahre nach den Bedingungen von 2023 eintreten – die Wahrscheinlichkeit, dass es schon vor 2030 einen eisfreien Tag am Nordpol gibt, ist demnach nicht null“, berichten die Forscherinnen. Nimmt man den Mittelwert der elf genutzten Modelle wird der erste eisfreie Nordpoltag in sieben bis 20 Jahre eintreten.

Damit könnte das arktische Meer in sehr naher Zukunft einen Zustand erleben, den es zuletzt vor 80.000 Jahren gab. „Der erste eisfreie Tag in der Arktis wird die Dinge noch nicht dramatisch ändern“, sagt Jahn. „Aber es wird zeigen, dass wir damit schon ein grundlegendes Merkmal der Arktis fundamental geändert haben: die ganzjährige Eisbedeckung des Nordpols.“

Fatale Kaskade

Die Forscherinnen haben auch ermittelte, welche Wetterlagen und klimatischen Voraussetzungen herrschen müssen, damit das arktische Meereis in Gänze verschwindet. Auslöser ist demnach eine Kette von Ereignissen, die mit stark ausgedünntem Meereis im Spätsommer und Herbst beginnt. Wenn dann noch ein ungewöhnlich milder Winter mit Temperaturen über minus 20 Grad folgt, wächst das Meereises nur wenig und bleibt so dünn, dass schon ein stärkerer Sturm im folgenden Sommer die Eisfläche aufreißen kann.

„All diese Ereignisse hat es in der Arktis schon mehrfach gegeben – nur bisher nicht in der für den Eisverlust nötigen Reihenfolge und in der selben Saison“, erklärt Heuzé. So sorgte eine arktische Hitzewelle im März 2022 dafür, dass die Luft über dem Nordpolarmeer stellenweise 30 Grad wärmer war als für diese Zeit normal. Prognosen zufolge nimmt die Wahrscheinlichkeit von ungewöhnlich warmen Wetterlagen in der Arktis zudem mit dem Klimawandel stark zu.

Konkret ermittelten Heuzé und Jahn, dass es schon ausreichen könnte, wenn die globale Erwärmung die Marke von 1,5 Grad im Fünfjahresmittel erreicht oder übersteigt. 2024 ist jedoch bereits das erste Jahr, das diese Schwelle erreicht hat. Geht der Trend demnach so weiter, könnte der Worst Case eintreten und der Nordpol in wenigen Jahren eisfrei sein.

arktisches Meereis
Wenn das Meereis in der Arktis fehlt, hat dies auch Folgen für uns. © Céline Heuzé

Teufelskreis mit Folgen auch für Mitteleuropa

Das Problem: Ein eisfreies Nordpolarmeer mag zwar günstig für die Schifffahrt sein, aber klimatisch setzt dies einen Teufelskreis in Gang. Denn das Meereis wirkt wie eine Schutzdecke für den arktischen Ozean, die Sonnenstrahlung reflektiert und das darunterliegende Wasser kühl hält. Fehlt diese Isolierdecke jedoch, absorbiert die dunkle Meeresoberfläche mehr Sonnenwärme und das Nordpolarmer heizt sich auf – umso schwieriger und unwahrscheinlicher wird es, dass sich im Herbst und Winter wieder eine geschlossene Eisdecke ausbilden kann.

Ein eisfreies Nordpolarmeer könnte daher das globale Klima zusätzlich aufheizen. Aber auch bei uns in Mitteleuropa hätte der Eisverlust konkrete Folgen. Denn Studien zeigen, dass eine zu warme Arktis das Wetter in der gesamten Nordhalbkugel beeinflusst und Wetterextreme wie Hitzewellen und Dürren, Stürme und Starkregen und auch winterliche Kälteeinbrüche fördert. (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/s41467-024-54508-3)

Quelle: University of Colorado at Boulder, Universität Göteborg

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