Versunkene Landbrücke: Noch vor 10.000 Jahren verband das Doggerland Großbritannien mit dem Kontinent – bis der steigende Nordseepegel diese ausgedehnten Landflächen versinken ließ. Jetzt fahndet eine Schiffsexpedition nach alten Siedlungsspuren im versunkenen Doggerland. Zuvor haben Forscher dort schon eiszeitliche Flüsse, Hügel, alte Küstenlinien und sogar Kalksteinklippen entdeckt, doch die entscheidenden Beweise für eine Besiedlung stehen noch aus.
Einst weideten hier Mammuts und Fellnashörner und Säbelzahnkatzen jagten nach Beute: Noch bis vor 10.000 Jahren lagen weite Teile der heutigen Nordsee trocken. Die als Doggerland bekannte Landbrücke reichte von der Ostküste Englands bis nach Dänemark, Südschweden und den Niederlanden. Über tausende von Kilometer erstreckte sich dort damals weites, fruchtbares Land von der Größe der heutigen Niederlande. Archäologen vermuten schon seit langem, dass diese von Flüssen durchzogene Landschaft von Menschen besiedelt war.
Doch wo lebten die Bewohner des eiszeitlichen Doggerlands? Hinweise auf die Präsenz von Menschen liefern bisher nur vereinzelte Funde, die zufällig im Netz von Fischern landeten. Doch ob es auf dem heute von der Nordsee bedeckten Land einst auch Siedlungen gab, ist bislang offen.
Versunkene Hügel, Flüsse und Kalksteinklippen
Schon 2018 hat deshalb ein Forscherteam des „Lost Frontiers“-Projekts damit begonnen, Teile des alten Doggerlands mithilfe seismischer Messungen und Bohrkernen zu kartieren. Die Kartierung enthüllte die unter Meer und Sediment verborgene Landschaft in beeindruckendem Detail: Im versunkenen Doggerland gab es Flusstäler, Marschgebiete, Hügel und sogar Küsten mit weißen Kalksteinklippen, wie die Forscher entdeckten.
Doch die erhofften Belege für menschliche Siedlungen fanden sie nicht. Immerhin aber legten die Bohrkerndaten nahe, dass ein Gebiet rund 100 Kilometer östlich der englischen und 80 Kilometer nördlich der holländischen Küste zur Mittelsteinzeit von Menschen bewohnt gewesen sein könnte. Denn im Sediment der sogenannten Brown Bank fanden sich bearbeitete Tierknochen, Steinwerkzeuge und sogar einige wenige menschliche Knochen, wie die Wissenschaftler berichten. Auch ein großer See könnte dort einst gelegen haben – gute Bedingungen für steinzeitliche Bewohner.
Neue Suchexpedition ins Doggerland
Jetzt hat sich eine britisch-belgische Forschungsexpedition erneut zur Brown Bank aufgemacht, um noch gezielter nach Siedlungsspuren zu suchen. Die Expedition hat am 7. Mai begonnen und soll elf Tage dauern. „Mit den detaillierten Untersuchungen, die wir im Mai 2019 durchführen, hoffen wir, die einzigartige Geschichte dieser Landschaften weiter zu entschlüsseln“, sagt Tine Missiaen vom flandrischen Meeresinstitut.
Von Bord des Forschungsschiffes „RV Belgica“ aus wollen die Wissenschaftler genauere Sonarkartierungen durchführen und weitere Sedimentbohrkerne entnehmen, um darin unter anderem nach Pollen, DNA von Pflanzen und Tieren und möglichen Indizien für die Existenz des eiszeitlichen Sees und die Präsenz von Menschen zu suchen. „Wenn wir diesen prähistorischen See nahe der Brown Bank und das mit ihm verknüpfte Flusssystem finden und bestätigen könnten, wäre das ein echter Durchbruch“, sagt David Garcia Moreno von der Universität Gent.
Zusätzlich entnehmen die Forscher mit einem kleinen Greifer Bodenproben, in denen sie auf archäologische Relikte hoffen. Videoaufnahmen vom Meeresgrund sollen weiteren Aufschluss über die versunkene Landschaft und mögliche Spuren steinzeitlicher Siedlungen geben.
Nadel im Heuhaufen
„Wenn diese Suche erfolgreich ist, wäre dies das erste Mal, dass man Beweise für Siedlungen in den heute tiefen Wassern der Nordsee findet“, erklärte Teammitglied Vincent Gaffney von der University of Bradford. „Bisher war der Großteil von Doggerland für die Archäologie eine Terra inkognita. Wenn wir Siedlungen in der zurzeit noch leeren Karte des Doggerlands lokalisieren könnten, würde dies ein ganz neues Kapitel der archäologischen Erkundung eröffnen.“
Die Suche wird allerdings mühsam: „Wenn man mit einem nur einen Meter großen Greifer eine Landschaft von der Größe Hollands erkunden will, gleicht das Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt Gaffney. Zusätzlich zur Erkundung der Brown Bank haben die Forscher auch ein weiteres Teilgebiet des Doggerlands angesteuert: den „Southern River“. Dieses ausgedehnte, von weißen Kalksteinklippen gesäumte Flusstal erstreckte sich einst von der heutigen Küste von East Anglia nach Osten. Die fruchtbare Niederung könnte nach Ansicht der Archäologen ebenfalls ein guter Lebensraum für die Menschen der Mittelsteinzeit gewesen sein.
Bisher allerdings machte das Wetter den Forschern einen Strich durch die Rechnung: Starker Wellengang und Sturm zwangen sie dazu, ihre Arbeiten am „Südlichen Fluss“ abzubrechen, wie sie auf Twitter berichteten. Jetzt ist die Brown Bank das nächste Ziel. Die Wissenschaftler hoffen aber, noch einmal zurückkehren zu können.
Quelle: University of Bradford