Marines Fieber: Die Ostsee durchlebt zunehmend häufiger marine Hitzewellen – Perioden anomal starker, für das Ökosystem folgenreicher Erwärmung. Allein im Jahr 2022 gab es in der Ostsee gleich sieben solcher Hitzewellen, wie Meeresforscher ermittelt haben. Dabei waren einige Meeresgebiete fast zehn Grad wärmer als normal. Seit 1993 hat sich die Menge der Hitzewellen pro Jahrzehnt zudem messbar erhöht. Ursache dieser Entwicklung ist der Klimawandel, der sich bei der flachen, weitgehend von anderen Meeren getrennten Ostsee besonders stark bemerkbar macht.
Die Ostsee hat es schwer: Sie ist besonders flach, erhält nur wenig Frischwasser aus der Nordsee und noch dazu schwemmen mehrere große Flüsse enormen Mengen an Nährstoffen, Schlamm und Schadstoffen in ihr Becken. Kein Wunder daher, dass der Zustand der Ostsee bedenklich ist: An ihrem Grund bilden sich immer wieder sauerstofffreie „Todeszonen“, invasive Arten breiten sich aus und kaum ein anderes Meer erwärmt sich durch den Klimawandel so schnell wie sie.
„Die Ostsee ist eines der marinen Ökosysteme mit der schnellsten dokumentierten Erwärmung – sie lag zwischen 1982 und 2006 bei 1,35 Grad“, berichten Anja Lindenthal vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg und ihre Kollegen.
Fieberschübe im Ozean
Doch es gibt noch ein weiteres Problem für die Ostsee: marine Hitzewellen. Bei solchen „Fieberschüben“ im Ozean erwärmt sich das Meerwasser über mehrere Tage bis Wochen um mehrere Grad über das für die jeweilige Jahreszeit übliche Niveau. Für die Lebenswelt der Meere sind diese schnellen, extremen Hitzephasen besonders folgenschwer, weil sich viele Organismen nicht anpassen können und zugrundegehen. Auch in der Ostsee hat es in den vergangenen Jahren immer wieder solche marinen Hitzewellen gegeben.
Wie oft diese inzwischen in der Ostsee vorkommen und wie extrem sie ausfallen, haben nun Lindenthal und ihr Team untersucht. Dafür analysierten sie zunächst Satelliten- und Bojendaten für die Wassertemperaturen im Jahr 2022, für das in Ostsee und Nordsee stellenweise neue Wärmerekorde gemessen wurden. Zusätzlich werteten sie Langzeitdaten von zwei Messstandorten – einem bei Kiel und einem im Norden der Ostsee – aus.
Bis zu zehn Grad heißer als normal
Das Ergebnis: Im Jahr 2022 waren fast zwei Drittel der Ostsee von Hitzewellen betroffen. Am häufigsten traten solche „Fieberschübe“ in der westlichen Ostsee und vor der dänischen Küste auf. Dort gab es sieben marine Hitzewellen, die insgesamt fast 100 Tage andauerten und deren Temperaturen um bis zu 4,6 Grad über dem langjährigen Mittel für die jeweilige Zeit lagen, wie Lindenthal und ihr Team berichten.
Die extremsten Hitzewellen durchlebte dagegen die nördliche Ostsee: „In dieser Region und im bottnischen Meerbusen gab es zwei marine Hitzewellen mit maximalen Intensitäten von 7,3 und 9,6 Grad über den normalen Werten“, berichten die Forschenden. Diese zwischen 20 und 32 Tagen anhaltenden Hitzephasen seien die extremsten seit 1993 registrierten. Die Messungen enthüllten zudem, dass sich die Hitzewellen nicht auf das Oberflächenwasser der Ostsee beschränken – auch die tiefen Wasserschichten sind betroffen. Schon viermal registrierten die Messsysteme eine solche anomale Erwärmung am Meeresgrund der nördlichen Ostsee.
Hitzewellen treten häufiger auf
Bedenklich ist jedoch auch der Langzeittrend: Die Phasen extremer Erwärmung treten in der Ostsee immer häufiger auf, wie die Zeitreihen seit 1993 belegen. Vor der deutschen Ostseeküste haben die marinen Hitzewellen demnach um rund 0,73 Ereignisse pro Jahrzehnt zugenommen, in der nördlichen Ostsee um 0,64 pro Jahrzehnt, wie das Team ermittelte.
Dies sei kein Zufall: „Je wärmer die Meere sind, desto häufiger treten marine Hitzewellen auf und desto länger dauern sie an“, erklärt Koautorin Claudia Hinrichs vom BSH. „Dies ist eine direkte Folge des Klimawandels. Wir erwarten daher in Zukunft vermehrt Hitzewellen im Meer.“ Warum diese Hitzewellen in der Ostsee sogar am Grund auftreten, teilweise sogar ohne begleitende Oberflächenhitze, ist hingegen erst in Teilen geklärt. Studien legen aber nahe, dass Tiefenströmungen dabei eine Rolle spielen könnten.
„Auswirkungen auf alle Aspekte der Meeresumwelt“
Für die ohnehin unter vielen Belastungen leidende Lebenswelt der Ostsee ist der Trend zu mehr und stärkeren Hitzewellen eine schlechte Nachricht. Denn ein gestresstes Meeresökosystem ist besonders anfällig für zusätzliche Störungen. „Steigende Meerestemperaturen haben Auswirkungen auf alle Aspekte der Meeresumwelt – von der Artenvielfalt über die Chemie des Meeres bis zum globalen Klima“, betont Lindenthal. (8th edition of the Copernicus Ocean State Report (OSR8), 2024; doi: 10.5194/sp-4-osr8-16-2024)
Quelle: Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH)