Archäologie

Ostsee: Schiffswrack aus dem Mittelalter geborgen

Lastensegler aus dem Jahr 1188 erweist sich als Nachfahre der Wikingerschiffe

Ostsee-Wrack
Bauweise und Material des mittelalterlichen Wracks entsprechen dem eines Wikingerschiffs, wie 3D-Scans und dieses 3D-Modell enthüllen. © Massimiliano Ditta

Fund am Meeresgrund: Bei der Erweiterung des Seehafens von Wismar haben Archäologen drei mittelalterliche Schiffswracks entdeckt – darunter einen großen Lastensegler aus dem Jahr 1188. Jetzt enthüllt die 3D-Kartierung der Relikte: Das große Lastschiff war ein Nachfahre der Wikingerschiffe und auch sein Baumaterial stammt aus Skandinavien. Wegen des Hafenausbaus wurde das Wrack geborgen und an Land mithilfe einer neuen Technik gescannt.

Schiffswracks sind wertvolle Zeugen der Vergangenheit, allerdings sind nur wenige gut erhalten. Doch es gibt Ausnahmen, vor allem bei Wracks, die in eher kalten oder sauerstoffarmen Gewässern liegen. Dazu gehören die Titanic, die in der Nordwestpassage gesunkenen Schiffe der Franklin-Expedition, HMS Erebus und HMS Terror, und auch ein 2.400 Jahre altes griechisches Handelsschiff. In der Ostsee haben Forscher zudem kürzlich das weitgehend intakte Wrack eines Schiffs aus der Zeit des Kolumbus entdeckt.

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Tauchgang zum Schiffswrack im Wismarer Hafen. © Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern

Knapp 900 Jahre alter Lastensegler

Jetzt haben Archäologen ein sogar noch älteres Wrack in der Ostsee geborgen. Entdeckt wurde das Wrack schon im Herbst 2018 bei der Erweiterung des Seehafens von Wismar in Mecklenburg-Vorpommern. Nur drei Meter unter der Wasseroberfläche lagen dort gleich drei hölzerne Wracks im Schlick verborgen. Erste Datierungen sprachen dafür, dass diese Schiffe aus dem Mittelalter stammen.

Das größte der drei Schiffe, ein robuster Lastensegler von 24 Metern Länge und vier Metern Breite, stammt aus dem Jahr 1188, wie die Archäologen berichten. Die Ostsee und der Schlick des Hafens haben das mittelalterliche Holzschiff nahezu perfekt erhalten, denn am Boden der Wismarer Bucht herrschen anaerobe Bedingungen mit leicht saurem Wasser und wenig Bakterien, Fäulnis oder Holzwürmern.

Scan mit neuer Methode

Weil der Ausbau des Seehafens weitergeführt werden sollte und das im schlammigen Grund freigelegte Schiff extrem anfällig war, wurde das Wrack vorsichtig geborgen und in Einzelteilen in einer Halle gelagert. „Als wir das Wrack vom Meeresboden hoben, waren wir erstaunt, wie frisch das Kiefernholz aussah. Als wäre es am Tag zuvor geschlagen worden“, berichtet Bergungsleiter und Meeresarchäologe Jenas Auer.

Nach der Bergung sollten die 228 Einzelteile des Lastenseglers so schnell wie möglich kartiert werden, um Details der Bauweise und des Erhaltungszustands zu gewinnen. Aber wie? Angesichts der Menge von Teilstücken hätte es mit herkömmlichen 3D-Scanverfahren über ein Jahr gebraucht, um alle Holzbalken zu reinigen, zu scannen und digital aufzubereiten. Denn dabei werden durch den direkten Kontakt des Scanners mit dem Objekt einzelne Punkte aufgenommen, in 3D-Netzwerke konvertiert und schließlich in Modelle umgewandelt.

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Eingescannte Bauteile des Schiffswracks mit Details der Maserung und der Bearbeitung . © Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern

Feinste Details sichtbar gemacht

Auer und sein Team entschieden sich daher für eine andere Methode: Sie nutzten den 3D-Streifenlichtscanner Artec Eva, ein Gerät, das man in der Hand halten und damit berührungslos scannen kann. Die so erhaltenen Daten wurden erst in 3D-Polygonnetze umgewandelt und dann in ein Programm eingespeist, das naturgetreue 3D-Modelle jedes Bauteils erstellte. Der gesamte Scan des Wracks dauerte durch diese Methode nur 33 Tage. „Die Backbordseite war fast vollständig erhalten“, berichtet Auer. Weil die Steuerbordseite jedoch stärker beschädigt war, spiegelten die Forscher den Scan der intakten Seite und erhielten so einen kompletten Eindruck des Schiffs.

Die Scans zeigten selbst feinste Details des Wracks: „Sie enthielten Einzelheiten zu jedem Schnitt und zu jedem Axthieb, sämtlichen Nagellöchern, den kleinsten Kratzern sowie zur Holzmaserung“, berichtet der Meeresarchäologe und Spezialist für 3D-Aufnahmen Thomas Van Damme. „Es wurde vermerkt, welche Werkzeuge jeweils zum Einsatz kamen und welche Nägel benutzt wurden, ob Eisen- oder Holznägel. Wir haben auch geprüft, ob es Hinweise auf Reparaturen gab und von welchem Teil des Baums ein Holzstück stammte.“

Nachfahre der Wikingerschiffe

Das 3D-Modell enthüllte: Das mittelalterliche Lastenschiff wurde ausschließlich mit Axt und Querbeil gezimmert. „Dieses schwere Frachtschiff nordischen Baustils wurde mit großer Sorgfalt konstruiert und war immens strapazierfähig“, sagt Auer. „Es wurde mit überlappenden Kiefernplanken in Klinkerbauweise gezimmert und hat wunderschöne Kurven.“ Das Eichen- und Kiefernholz für die Balken und Planken stammt aus Westschweden, wie Analysen der Jahresringe ergaben.

Auch die Bauweise des Schiffs ist skandinavischen Ursprungs: „Es ist ein Nachfahre der Wikingerschiffe“, erklärt Auer. Wie schon diese Schiffe besaß auch der mittelalterliche Lastensegler ein breites offenes Deck und war sehr robust gebaut. „Da es in einer recht friedlichen Zeit im Einsatz war, beförderte es vermutlich Frachtgut wie Holz, Steine oder schwere Ladungen Bier“, sagt der Meeresarchäologe.

 Bergung des Schiffswrack aus dem Wismarer Hafen. © Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern
Bergung des Schiffswrack aus dem Wismarer Hafen. © Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern
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Verkleinertes Modell im 3D-Druck

Die Forscher haben auf Basis ihrer Scans ein verkleinertes Schiffsmodell im 3D-Druck angefertigt. „Ich habe alle Komponenten im Maßstab 1:20 aus Gips drucken lassen“, sagt Unterwasserarchäologe Massimiliano Ditta. „Zum einen wollten wir das Schiffswrack originalgetreu rekonstruieren. Zum anderen wollten wir anhand des Nachbaus herausfinden, wo die noch nicht zugeordneten, losen Fundstücke hingehörten.“

Das 3D-Miniaturmodell soll nun unterschiedlichen wissenschaftlichen Analysen dienen, etwa für Untersuchungen zur Hydrostatik und numerischen Strömungsmechanik. Außerdem wird es für die Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt, damit Besucher vor Ort und im Internet sehen können, wie das Schiff einst aussah.

Quelle: Messer PR/ Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern

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