Eine andere Welt: Durch den Klimawandel könnten sich die Ozeane stärker verändern als je zuvor in der Geschichte, wie nun eine Studie nahelegt. Demnach könnten 35 bis 95 Prozent der heute noch existierenden Meeresbedingungen bis 2100 global verschwinden. Dafür werden bis zu 82 Prozent der Meeresgebiete Bedingungen erleben, die es noch nie im Ozean gegeben hat. Für Meeresorganismen bedeutet dies, dass sie keine Chance haben, auszuweichen – sie müssen sich anpassen oder sterben aus.
Der Ozean ist einer der wichtigsten Klimapuffer unseres Planeten, aber auch an ihm geht der Klimawandel nicht spurlos vorüber. Schon jetzt erlebt er Hitzewellen und Rekordtemperaturen, der Sauerstoffgehalt sinkt, die Wasserschichtung wird undurchlässiger und die Versauerung lässt den gelösten Kalk in Form von Aragonit mancherorts knapp werden.
Bisher können viele Meeresbewohner diesen Veränderungen noch ausweichen, indem sie beispielsweise in noch kühlere oder weniger von Versauerung betroffene Meeresgebiete auswandern.
Völlig neue Bedingungen
Doch wie lange geht das noch? Diese Frage haben nun Katie Lotterhos von der Northeastern University und ihre Kollegen untersucht. Mithilfe von Messdaten und einem Klima-Ozean-Modell haben sie zunächst rekonstruiert, wie sich Temperaturen, pH-Wert und CO2-Gehalt der oberen Wasserschichten weltweit seit dem Jahr 1800 verändert haben. Dann erstellten sie ausgehend von diesem Modell eine Prognose für die Entwicklung bis zum Jahr 2100 bei gemäßigtem Klimaschutz (RCP 4.5) und weitgehend unkontrollierter Erwärmung (RCP 8.5)
„Dabei quantifizieren wir, in welchem Maße bisherige marine Klimabedingungen verschwinden und neuartige Bedingungen ohne historische Entsprechung auftreten werden“, erklärt das Forschungsteam. Anders als nur regionale Verschiebungen können solche grundlegenden, globalen Veränderungen dazu führen, dass Meeresbewohner die für sie nötigen Umweltbedingungen dann nirgendwo mehr vorfinden. In anderen Regionen treten dafür Temperaturen, pH-Werte oder CO2-Gehalte auf, an die kein heute lebender Organismus angepasst ist.
Ab jetzt wird es heikel
Das Ergebnis: In den 200 Jahren von 1800 bis 2000 haben sich Ozeane zwar verändert, bisher ist aber keine Umweltnische komplett verschwunden. Allerdings gibt es erste Vorzeichen dafür im Indische Ozean, dem tropischen Atlantik und dem Südwest-Pazifik. Auch völlig neuartige Klimabedingungen zeichnen sich zwar im äquatorialen Pazifik schon ab, sind aber noch nicht etabliert, wie Lotterhos und ihr Team ermittelten.
Anders wird dies aber in den kommenden Jahrzehnten werden: „Ein substanzieller Anteil der globalen Meeresoberfläche wird zwischen 2000 und 2100 ein mittleres bis extremes Ausmaß von verschwindenden Nischen erleben“, schreiben die Forschenden. Unter dem gemäßigten Klimaszenario betrifft dies rund 35 Prozent der heute noch existierenden Bedingungen, im Worst-Case-Szenario könnte es sogar 95 Prozent aller Nischen treffen.
Mehr neue oder verschwundene Klimanischen als an Land
Umgekehrt werden sich Temperaturen, pH-Wert und CO2-Gehalt in vielen Regionen so stark verändern, dass die Meeresorganismen mit völlig neuartigen, bisher nirgendwo auf der Welt vorkommenden Bedingungen konfrontiert sind. Je nach Szenario könnten solche neuartigen Bedingungen bis Ende des Jahrhunderts zwischen zehn und 82 Prozent der Meeresoberfläche betreffen.
„Dieses Ausmaß an global verschwindenden oder neu auftretenden Bedingungen ist noch größer als für terrestrische Systeme vorhergesagt“, schreiben Lotterhos und ihr Team. Besonders stark von solchen neuartigen Meeresbedingungen betroffen wären die tropischen Meere, die Arktis und die subpolaren Ozeangebiete der Südhalbkugel. Die Umweltnischen, die bis 2100 verschwinden würden, liegen heute ebenfalls vorwiegend in den Tropen und den gemäßigten Breiten der Südhemisphäre.
Fatale Folgen für viele Meeresorganismen
Für die Meereswelt könnte dies fatale Folgen haben. Zwar werden sich Organismen mit breiten Toleranzgrenzen gegenüber Temperatur oder pH-Wert oder in gewissem Maße anpassen können. Für viele andere Spezies aber könnte dies das Ende bedeuten. „Wenn unsere Projektionen zu neuartigen und verschwindenden Meeresbedingungen korrekt sind, dann wären die kaskadierenden Auswirkungen auf marine Ökosysteme und Lebensgemeinschaften substanziell“, schreiben Lotterhos und ihre Kollegen. Betroffen wären dann viele Meeresgebiete, die heute als Hotspots der marinen Artenvielfalt gelten.
Wie die Wissenschaftler betonen, sind ihre Prognosen sogar noch eher konservativ: „Es gibt noch eine Reihe anderer wichtiger Aspekte der Meereschemie, der Nahrungsverfügbarkeit und der Ozeandynamik, die sich mit dem Klimawandel verändern, die wir aber in unserem Modell nicht berücksichtigt haben“, erklären sie. Auch der sinkende Sauerstoffgehalt, veränderte Meeresströmungen oder die indirekten Effekte der stabiler werdenden Wasserschichtung könnten die Bedingungen in völlig neue Bereiche verschieben. (Scientific Reports, 2021; doi: 10.1038/s41598-021-94872-4)