Klima

Ozeane verlieren ihr Gedächtnis

Klimawandel verringert Stabilität und Selbstähnlichkeit der Meerestemperaturen

Ozean
Die Weltmeere reagieren bisher träge und weitgehend vorhersehbar auf Klimaeinflüsse – das könnte sich jedoch bald ändern. © Aleksey Stemmer/ iStock

Ungewisse Zukunft: Durch den Klimawandel drohen die Weltmeere ihr Gedächtnis zu verlieren – die Trägheit und Selbstähnlichkeit, die die Reaktion der Ozeane auf Klimaeinflüsse bisher prägt. Als Folge könnten die Meerestemperaturen in den kommenden Jahrzehnten immer unberechenbarer schwanken, wie Forschende im Fachmagazin „Science Advances“ prognostizieren. Das könnte für Wettervorhersagen, Klimaprognosen und das Ökosystem Meer zum Problem werden.

Die Ozeane sind wichtige Klimapuffer unseres Planeten: Weil ihre enormen Wassermengen große Mengen Wärme aufnehmen und nur sehr langsam auf Veränderungen reagieren, stabilisieren die Meere das Klima und wirken ausgleichend auf Schwankungen. Vor allem das thermisch träge Tiefenwasser wirkt dadurch wie ein Gedächtnis des Meeres: Es ist sorgt dafür, dass das Meer sich selbst ähnlich bleibt.

Selbstähnlichkeit als Indikator

„Das Ozean-Gedächtnis – die Persistenz der Meeresbedingungen – ist ein bedeutender Faktor für die Vorhersagbarkeit des Klimasystems“, erklären Hui Shi vom Farallon Institute in Kalifornien und ihre Kollegen. Denn die Selbstähnlichkeit der Meerestemperaturen von einem Jahr zum nächsten erlaubt es Klimaprognosen, zyklische oder stetige Klimaveränderungen wie den El Nino, den Monsun oder auch marine Hitzewellen über bis zu zwei Jahre vorherzusagen.

Doch damit könnte künftig Schluss sein. Denn wie Shi und ihr Team festgestellt haben, drohen die Weltmeere ihr Gedächtnis zu verlieren. „Wir haben dieses Phänomen entdeckt, als wir die Veränderungen der Meeresoberflächentemperaturen von einem Jahr zum folgenden als einfachen Indikator für das Ozean-Gedächtnis untersucht haben“, berichtet Shi.

Simulation in zwei Modellensembles parallel

Für ihre Studie nutzten die Forschenden zwei verschiedene Ensembles von Ozean-Klimamodellen (CMIP6 und CESM1-LE), die sie zunächst mit Beobachtungsdaten für die historischen Trends der Oberflächentemperaturen, Wärmeflüsse und Strahlungsflüsse von präindustriellen Zeiten bis heute abglichen. Daraus ermittelten sie die sogenannte Lag-1-Autokorrelation – die Schwankungsintensität und Selbstähnlichkeit bei den für die betreffende Meeresregion und Jahreszeit typischen Temperaturen.

Nach dieser Kalibrierung der Modelle erweiterte das Team die simulierte Zeitspanne bis zum Jahr 2100 und legte dabei Szenarien mit unterschiedlich starkem Klimawandel entsprechend den IPCC-Szenarien zugrunde.

Autokorrelation
Mit dem Modellensemble CESM1-LE ermittelte Veränderungen der Lag(1)-Autokorrelation bei den Meerestemperaturen. © Shi et al./ Science Advances, CC-by 4.0

Zunehmende „Amnesie“ der Ozeane

Es zeigte sich: Mit zunehmender Erwärmung der Ozeane nimmt die Selbstähnlichkeit der Temperaturentwicklung ab – das Gedächtnis der Ozeane wird schwächer, wie das Team feststellte. Die verschiedenen Meeresgebiete verändern ihre Temperaturen in Zukunft deutlich unberechenbarer als bisher der Fall. „Zufällige Einflüsse beeinflussen Anomalien der Oberflächentemperaturen effektiver und das Störrauschen nimmt zu Lasten der persistenten Signale zu“, berichten die Forschenden.

Anders ausgedrückt: „Es ist fast, als ob der Ozean eine Amnesie entwickelt“, sagt Shi. Konkret bedeutet dies, dass die Reaktion eines Meeresgebiets auf vergangene Wetterereignisse und Klimaschwankungen bisher relativ gut verraten konnte, wie es auf die gleichen Ereignisse in der nahen Zukunft reagieren wird. Doch mit zunehmendem Klimawandel sinkt diese Selbstähnlichkeit immer weiter ab, wie die Modellsimulationen ergaben.

„Gedächtnisschwund“ reicht bis zu 100 Prozent

Den Prognosen zufolge schwindet das Gedächtnis der Ozeane weltweit und in allen Weltmeeren. Besonders stark wirkt sich die verringerte Selbstähnlichkeit jedoch in Teilen des Nordatlantiks und Pazifiks, im östlichen Südatlantik, dem Südchinesischen Meer und in einigen Bereichen des Indischen Ozeans aus. Einige Regionen erfahren Gedächtniseinbußen von bis zu 100 Prozent“, berichten Shi und ihre Kollegen.

„Trotz einiger Unterschiede zeigen die CMIP6- und CESM1-LE-Modelle übereinstimmend einige Meeresgebiete, in denen am Ende dieses Jahrhunderts das jährliche Mittel der Meeres-Oberflächentemperatur nicht länger ein signifikanter Anhaltspunkt für das Mittel im folgenden Jahr sein wird“, schreiben die Forschenden. Parallel dazu steigt ihren Ergebnissen zufolge das „Störrauschen“ durch kürzere, stärker werdende Schwankungen, die die Vorhersagbarkeit weiter verringern.

Oberste Meeresschicht entscheidend

Als Hauptursache für die schwindende Vorhersagbarkeit des Ozeans ermittelten Shi und ihr die Veränderungen der durchmischten Oberflächenschicht der Meere. Diese im Mittel rund 50 Meter dicke Schicht warmen Oberflächenwassers speichert besonders viel Wärme und spielt für die Reaktion der Meere auf die Atmosphäre eine entscheidende Rolle: Je tiefer diese Schicht reicht, desto größer ist ihre Wärmespeicherkapazität und Trägheit gegenüber Veränderungen.

Doch schon in den letzten Jahren haben Messungen gezeigt, dass die durchmischte Schicht der Ozeane immer dünner wird, gleichzeitig nimmt der Austausch von Wärme und Nährstoffen zum darunter liegenden Tiefenwasser ab. Dies trägt auch entscheidend zur schwindenden Trägheit und Selbstähnlichkeit der Ozeane bei, wie Shi und ihre Kollegen festgestellten: Eine dünnere und stärker vom Rest des Meerwassers abgekoppelte Oberflächenschicht ist auch stärkeren und unberechenbarerer Fluktuationen unterworfen.

„Natürlich tragen auch andere Prozesse wie Veränderungen der Meeresströmungen und des Energieaustauschs zwischen Ozean und Atmosphäre dazu bei“, betont das Forschungsteam. Aber der größte Faktor für die zunehmende „Amnesie“ der Ozeane sei die Verflachung der durchmischten Schicht. In einige Regionen mache sie bis zu zwei Dritteln des Effekts aus.

Auswirkungen auf Wetterprognosen und Ökosysteme

Nach Ansicht des Forschungsteams könnte das schwindende Gedächtnis der Ozeane in mehrerer Hinsicht bedeutsame Konsequenzen haben. Zum einen wird dies die Vorhersagen von Klimaschwankungen wie dem Monsun oder El Nino und von marinen Hitzewellen deutlich erschweren. Auch Wetterereignisse an Land wie Starkregen oder Hitzewellen wären unter solchen Umständen weniger gut vorhersagbar.

Gleichzeitig könnte die unberechenbarer werdende Schwankung der Meerestemperaturen auch die marinen Ökosysteme und ihre Bewohner beeinträchtigen. Denn wie das Team erklärt, sind gerade langlebige Arten mit langsamer Fortpflanzung oft auf relativ stabile Umweltbedingungen angewiesen. Unberechenbarere Veränderungen könnten sich auch auf die Fischerei und die Prognosen der Fischbestände auswirken. (Science Advances, 2022; doi: 10.1126/sciadv.abm3468)

Quelle: University of Hawaii at Manoa

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