Direkte Rückkopplung: Wenn hoch über dem Nordpol die Ozonwerte sinken, dann hat dies einen direkten Einfluss auf unser Wetter – das Frühjahr wird anomal warm und trocken, wie eine Studie enthüllt. Demnach absorbiert die ausgedünnte Ozonschicht weniger Sonnenlicht, dadurch bleibt die Stratosphäre kälter. Das wiederum begünstigt Luftströmungen, durch die warm-trockene Luft nach Mitteleuropa strömt. In den polaren Breiten wird es hingegen feuchter, wie die Forschenden in „Nature Geoscience“ berichten.
Ein Ozonloch entsteht, wenn das Sonnenlicht im Frühjahr ozonabbauende Reaktionen in der Stratosphäre in Gang setzt. Das Chlor aus Treibgasen und anderen FCKW wirkt dabei als Katalysator und „Ozonkiller“. In letzter Zeit kommt es auch über der Arktis immer häufiger zu einem solchen drastischen Ozonschwund – zuletzt 2011, 2016 und 2020. Im Frühjahr 2020 waren in der Kernzone der Ozonschicht sogar 95 Prozent des Ozons zerstört – so viel wie nie zuvor auf der Nordhalbkugel.
Als Ursache für diese Häufung arktischer Ozonlöcher gilt der Klimawandel: Weil er Luftströmungen rund um den Nordpol verändert, bleibt die polare Stratosphäre im Frühjahr länger kalt und wärmere Luft kann nicht nach Norden vordringen. Dadurch entstehen günstige Bedingungen für einen starken Ozonabbau.
Symptom oder Ursache?
Doch umgekehrt beeinflusst der arktische Ozonschwund auch das Klima, wie nun Marina Friedel von der ETH Zürich und ihre Kollegen herausgefunden haben. Anstoß für ihre Studie war die Beobachtung, dass ein arktisches Ozonloch oft von Wetteranomalien über der gesamten Nordhalbkugel begleitet wurde: In Mittel- und Nordeuropa und bis nach Sibirien hinein war es in diesen Jahren ungewöhnlich warm und trocken – 2020 war dies besonders gut zu beobachten. In polaren Breiten hingegen war es oft nasser als normal.
Unklar war aber, ob diese Anomalien direkt mit dem Ozonloch zusammenhängen – oder ob beides Folge der gleichen klimabedingten Veränderung der Luftströmungen sind. „Theoretisch könnten die gleichzeitig mit dem Ozonschwund auftretenden Wettermuster auch komplett auf die dynamische Variabilität der unteren Stratosphäre zurückgehen“, erklären die Forschenden. Der Ozonschwund wäre genauso wie die Wetteranomalien dann bloß ein Symptom dieser Dynamik.
Ein Teil der Anomalien ist rein klimabedingt…
Um diese Zusammenhänge aufzuschlüsseln, haben Friedel und ihr Team Simulationen mit drei verschiedenen Chemie-Klimamodellen durchgeführt. Zwei davon – CLIM-2D und CLIM-3D – bildeten den Ozonschwund grob oder aber tagesgenau ab, berücksichtigten aber keine direkten Wechselwirkungen. Das dritte Modell (INT-3D) umfasste auch Feedbacks des Ozons mit der atmosphärischen Zirkulation.
Mit allen drei Modellen rekonstruierten die Forschenden das Frühjahrsklima der letzten 40 Jahre. Dabei prüften sie, ob und wie gut die Modelle die real beobachteten Wetterbedingungen in den Jahren mit arktischem Ozonloch abbilden konnten. Das Ergebnis: Alle drei Klimamodelle zeigten einen Trend zu Wetteranomalien, wenn es einen stärkeren arktischen Ozonschwund gab. Ein Teil der Wetteranomalien geht demnach tatsächlich auf die dynamischen Veränderungen der Luftströmungen zurück – auf Klimaeffekte, die auch ohne einen direkten Einfluss des Ozons zustande kämen.
…beim größeren Rest ist jedoch Ozon im Spiel
Allerdings bildeten die ersten Modelle ohne Ozon-Feedbacks nur einen Teil der beobachteten Anomalien ab – sie erfassten nur rund 40 Prozent des realen Ausmaßes. Das dritte Klimamodell hingegen, das auch die Wechselwirkungen des Ozons berücksichtigte, stimmte fast perfekt mit der Realität überein. „Daraus schließen wir, dass das stratosphärische Ozon das Oberflächenklima der Nordhalbkugel aktiv beeinflusst“, konstatieren Friedel und ihre Kollegen.
Nähere Analysen ergaben: Wenn das Ozon über der Arktis ausgedünnt ist, absorbiert die Stratosphäre weniger Sonnenlicht. Dadurch bleibt sie kälter. „Das führt zu größeren und länger anhaltenden Kälteanomalien“, erklären die Forschenden. „Der arktische Ozonschwund verlängert dadurch aktiv die stratosphärischen Winterbedingungen.“ Als Folge bleibt auch der Polarwirbel länger bestehen – die Ringströmung, die die Arktis von wärmeren Luftmassen trennt und die als Treiber der Wetteranomalien gilt.
Wetter- und Klimamodelle müssen angepasst werden
Das bedeutet: Das arktische Ozon hat einen direkten Einfluss auf die arktischen Klimabedingungen – und auch auf das Frühjahrswetter in gemäßigten Breiten. „Die Ergebnisse werfen damit ein neues Licht auf die Verbindung des Ozons mit der Oberfläche auf der Nordhalbkugel“, schreiben Friedel und ihr Team. „Die interaktive Ozonchemie ist damit auch essenziell dafür, dass Wetter- und Klimamodelle die Frühjahrsbedingungen auf der Nordhalbkugel realistisch abbilden können.“
Werden die neuen Erkenntnisse in die Modelle integriert, könnten dadurch saisonale Wetter- und Klimaprognosen präziser und treffgenauer werden. „Für die Landwirtschaft ist das wichtig“, betont Chiodo. (Nature Geoscience, 2022; doi: 10.1038/s41561-022-00974-7)
Quelle: ETH Zürich