Mysteriöse Eruptionen: Mehrere große, zylindrische Krater im sibirischen Permafrost geben Geologen Rätsel auf. Diese 50 Meter tiefen Löcher entstanden durch heftige Ausbrüche von Gas und Eis, doch was diese auslöste und warum die Krater fast perfekt zylindrisch geformt sind, ist strittig. Unklar ist auch, warum diese Ausbruchskrater nur auf zwei Halbinseln im Nordwesten Sibiriens vorkommen. Ein Geologenteam hat sich jetzt an einer neuen Erklärung versucht.
Der Permafrost der arktischen Regionen ist besonders stark vom Klimawandel betroffen: Der seit hunderttausenden von Jahren dauerhaft gefrorene Boden taut von oben her immer weiter auf und verliert dadurch seine Stabilität. Ganze Gebiete verwandeln sich dadurch im Sommer in Schlammflächen, andernorts lässt die Schmelze unterirdischer Eisschichten den Untergrund wegsacken und verändert den Lauf von Flüssen. Erdrutsche und Sinklöcher sind die Folge, die auch arktische Infrastrukturen wie Straßen, Siedlungen und Bahnlinien gefährden.
50 Meter tiefe Ausbruchs-Zylinder
Doch es gibt noch ein neues Phänomen im Permafrost: Auf zwei Halbinseln im Nordwesten Sibiriens haben Forschende in den letzten Jahren mehrere große Krater mit erstaunlichen Merkmalen entdeckt. „Explosive Ereignisse haben dort nahezu senkrechte Zylinderstrukturen erzeugt, die anfangs mehr als 50 Meter tief in den Untergrund reichen und dutzende Meter breit sind“, berichten Helge Hellevang und seine Kollegen von der Universität Oslo. Rund um diese tiefen Löcher zeugen hunderte Meter weit geschleuderte Eis- und Erdbrocken von der Wucht ihrer Entstehung.
„Die Bildung solcher gigantischen Gasausbruchskrater (GEC) werden mit dem globalen Klimawandel in Verbindung gebracht: Steigende Sommer- und Herbsttemperaturen führen zur Erwärmung und Degradierung des Permafrosts und lösen dadurch die Freisetzung von Gasen aus“, schreiben die Geologen. Das allein erkläre aber nicht, warum diese explosiven Krater so zylindrisch und kreisrund geformt seien.
Hinzu kommt: Bisher sind acht dieser seltsam kreisrunden „Schächte“ bekannt – aber ausschließlich auf den beiden Halbinseln Yamal und Gydan. „Das wirft die Frage auf, warum diese GECs nur in diesem Gebiet auftreten und nirgendwo sonst im arktischen Permafrostgürtel“, sagen die Forscher.
Urzeit-See als Gasreservoir?
Auf der Suche nach einer Antwort haben Hellevang und sein Team die bisher vorgeschlagenen Erklärungsmodelle noch einmal genauer analysiert und mit den Daten abgeglichen. Einer Hypothese nach entstehen diese Ausbruchskrater dort, wo einst prähistorische Seen lagen. Diese erwärmten auch das gefrorene Sediment unter ihnen und reicherten sich durch auftauende Gashydrate mit Methan an. Als jedoch die Seen austrockneten oder ausliefen, bildete sich eine Eisdecke, unter der sich Gas aus dem Sediment anreicherte.
„Im Laufe der Zeit entsteht ein zylindrisches oder linsenförmiges Gebilde, das mit unter hohem Druck stehenden Gas übersättigt ist“, erklären die Forscher. Nachdem der Klimawandel den darüberliegenden Eisdeckel ausgedünnt hat, sprengt ihn der Gasdruck und es kommt zum Ausbruch – so die Hypothese. Die Form der Gasansammlung könnte die zylindrische Form der Krater erklären. Allerdings erklärt sie nicht, warum die rätselhaften Ausbruchskrater auch an Stellen liegen, wo es einst keine Seen gab, wie Hellevang und sein Team anmerken.
Oder sind „Cryopegs“ schuld?
Eine weitere Hypothese sieht Methanhydrate und sogenannte Cryopegs als Auslöser der Gasausbrüche. Bei Letzteren handelt es sich um auf Minusgrade heruntergekühlte, aber nicht gefrorene Ansammlungen von salzreichem Wasser oder Sediment. „Wenn der Klimawandel den Permafrost erwärmt, dehnen sich diese Cryopegs aus und dringen in Eischichten, Permafrostboden und Gashydrat-Taschen vor“, erklären die Forscher.
Dadurch löst sich Gas aus den Hydraten und sammelt sich in einem größer werdenden Cryopeg-Reservoir an. Auch hier sorgen dann steigender Gasdruck und tauende Eisdecke für die Eruption. Allerdings würde dabei kein nahezu perfekt zylindrisches Loch entstehen, wenden Hellevang und seine Kollegen ein. Zudem erkläre dieses Szenario nicht, warum die GECs nur auf den beiden sibirischen Halbinseln vorkommen, obwohl sowohl Cryopegs als auch prähistorische Seen auch anderswo in der Arktis vorkommen.
Warum nur auf Yamal und Gydan?
Wie aber sind die rätselhaften Ausbruchskrater dann entstanden? „Die nahezu perfekte Zylinderform aller GECS ist schwer ohne eine ähnlich geformte Vorgängerstruktur zu erklären“, räumen Hellevang und sein Team ein. „Oder man benötigt eine mechanisch geschwächte Stelle, die diese zylindrische Deformation hervorruft.“ Außerdem müssen die Krater auf Bedingungen beruhen, die spezifisch für die Yamal und Gydan-Halbinseln sind.
Eine mögliche Erklärung sehen die Geologen daher in einer für diese Halbinseln typischen Kombination aus zwei Eigenheiten: Zum einen liegen dort ausgedehnte Gasfelder im Untergrund, aus denen Methan über Risse im Gestein nach oben aufsteigen kann. Zum anderen ist der Permafrost auf Yama und Gydan ungewöhnlich uneinheitlich: An einigen Stellen ist die dauerhaft gefrorene Schicht nur wenige Meter dick, an anderen erreicht sie dagegen 500 Meter Dicke.
Verwerfung, Gas und ausgedünntes Eis
Dem neuen Erklärungsmodell der Forscher zufolge könnten die runden Ausbruchskrater überall dort entstehen, wo Gas entlang von Verwerfungen aus dem tieferen Untergrund aufsteigt und sich unter der Permafrostdecke sammelt. Durch die Klimaerwärmung taut nun die Eisdecke von oben her, während gleichzeitig der wachsende Gasdruck von unten diesen Deckel erodiert. Dadurch bildet sich im Untergrund ein domförmiges Reservoir aus Gas und gasreichem Schmelzwasser, das sich unter der lokal dünneren Eisdecke nach oben ausdehnt.
Nimmt nun der Gasdruck Überhand, sprengt dieser Gasdom den zentralen, dünnsten Teil seines Eisdeckels. „Die rapide Druckentlastung schleudert Fluide, Eis und Sediment in einer Explosion aus“, so die Wissenschaftler. Die zylindrische Form der Krater erklären sie durch die ebenfalls kreisrunde Form des aufgewölbten Doms, der die Wucht der Eruption gerade nach oben lenkt. Der Gasdruck kurz vor der Explosion könnte dabei 20 bis 30 Bar erreicht haben. „Das wäre ausreichend, um selbst kubikmetergroße Eisbrocken auszuschleudern“, erklären Hellevang und sein Team. Diese Blöcke erzeugten, die rund um die GECS beobachteten kleineren Senken.
Nach Ansicht der Geologen könnte dieses Szenario nicht nur die Entstehung der rätselhaften Ausbruchslöcher im Nordwesten Sibiriens erklären. Es liefert auch Hinweise darauf, in welchen anderen Teilen der Arktis solche Ausbruchskrater möglicherweise noch existieren – oder aber noch entstehen werden. Die Forscher räumen aber auch ein, dass ihr Szenario erst noch durch detailliertere Simulationen überprüft werden muss. Bis dahin bleiben die „gigantischen Gasausbruchskrater“ ein Rätsel. (EarthArXiv Preprint, 2023; doi: 10.31223/X59Q3K)
Quelle: EarthArXiv