Grenze überschritten: Die Menschheit setzt inzwischen so viele synthetische Substanzen frei, dass dies die Stabilität des Erdsystems gefährdet – die planetare Belastungsgrenze ist überschritten. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher, nachdem sie verschiedene Kontrollvariablen festgelegt haben, mit denen sich die Belastung feststellen lässt. Neben verschiedenen Chemikalien stellt demnach Plastikmüll ein besonders großes Problem dar. Die Forscher plädieren für feste Obergrenzen für Produktion und Freisetzung.
Der Mensch prägt seine Umwelt so sehr, dass Forscher unser Zeitalter als eine neue geologische Epoche sehen: das Anthropozän. Durch diese menschengemachten Veränderungen können natürliche Prozesse der Selbstregulation unseres Planeten aus dem Gleichgewicht geraten. 2009 haben Wissenschaftler daher neun sogenannte planetare Grenzen definiert, die den sicheren Handlungsspielraum der Menschheit festlegen sollen.
Zu diesen Grenzen zählen unter anderem biogeochemische Stoffkeisläufe und der Zustand der Biosphäre, aber auch der Klimawandel, der Verlust der Artenvielfalt, das Ozonloch und die Versauerung der Meere. Viele dieser Grenzen wurden bereits überschritten. Nicht quantifiziert wurde bislang eine weitere planetare Grenze: der Eintrag neuartiger Substanzen in die Umwelt. Zu diesen neuartigen Substanzen zählen verschiedene chemische Produkte, darunter gehören Kunststoffe, Pestizide, Industriechemikalien, Chemikalien in Konsumgütern, Antibiotika und andere Pharmazeutika.
Wo ist die Grenze?
„Diese planetare Grenze unterscheidet sich von anderen, weil es eine Vielzahl verschiedener Substanzen gibt, die jeweils sehr unterschiedliche Einflüsse haben können“, erklärt ein Forschungsteam um Linn Persson vom Umweltinstitut Stockholm. Eine einheitliche Erfassung ist daher kaum möglich. „Wir brauchen eine andere Art von Kontrollvariablen“, so die Forscher.
Da sich genau quantifizierte Grenzwerte zwar für einzelne Substanzen festlegen lassen, nicht aber für die Gesamtheit der rund 350.000 verschiedenen chemischen Produkte, die es derzeit auf der Welt gibt, schlagen Persson und ihre Kollegen vor, sich auf allgemeinere Kriterien zu fokussieren: Trends in Produktion und Freisetzung neuartiger Substanzen sowie deren ungewollte Einflüsse auf die Umwelt.
Produktion nimmt zu
„Seit 1950 ist die Produktion von Chemikalien um das 50-Fache gestiegen. Bis 2050 wird sich dieser Wert voraussichtlich noch einmal verdreifachen“, sagt Koautorin Patricia Villarubia-Gómez von der Universität Stockholm. Allein die Kunststoffproduktion hat zwischen 2000 und 2015 um 79 Prozent zugenommen, berichtet das Team.
„Das Tempo, in dem die Gesellschaften neue Chemikalien und andere neuartige Stoffe produzieren und in die Umwelt freisetzen, ist nicht mit einem sicheren Handlungsspielraum für die Menschheit vereinbar“, sagt Villarubia-Gómez. Kritisch ist aus Sicht der Autoren auch, dass wir Schadstoffe freisetzen, ohne die Risiken abschätzen zu können oder in der Lage zu sein, Probleme zu kontrollieren.
Bekannte und unbekannte Gefahren
Für viele neuartige Substanzen sind die Auswirkungen auf die Umwelt nur unzureichend bekannt. Bei anderen dagegen weiß die Wissenschaft bereits, dass sie Menschen, Tiere und Pflanzen auf vielfältige Weise negativ beeinflussen, etwa, weil sie giftig sind oder auf andere Weise natürliche Gleichgewichte stören, sei es durch ihre Herstellung, Nutzung oder die Abfälle, die in der Umwelt verbleiben.
„Einige dieser Schadstoffe sind weltweit zu finden, von der Arktis bis zur Antarktis, und können extrem langlebig sein. Wir haben überwältigende Beweise für negative Auswirkungen auf die Systeme der Erde, einschließlich der biologischen Vielfalt und der biogeochemischen Kreisläufe“, sagt Koautorin Bethanie Carney Almroth. Dies gilt insbesondere für Kunststoffe.
Produktion und Freisetzung begrenzen
„Die zunehmende Produktion und Freisetzung größerer Mengen und einer größeren Anzahl neuartiger Stoffe mit unterschiedlichem Risikopotenzial übersteigt die Möglichkeiten der Gesellschaft, sicherheitsrelevante Bewertungen und Überwachungen durchzuführen“, schreiben die Forscher. Sie plädieren daher dafür, feste Obergrenzen für die Produktion und Freisetzung von Chemikalien einzuführen und überdies einen verstärkten Fokus auf Recycling zu legen.
„Das bedeutet, dass wir Materialien und Produkte so verändern müssen, dass sie wiederverwendet und nicht verschwendet werden können, dass wir Chemikalien und Produkte so gestalten, dass sie recycelt werden können, und dass wir die Sicherheit und Nachhaltigkeit chemischer Stoffe entlang ihres gesamten Wirkungspfads im Erdsystem viel besser überprüfen müssen“, sagt Villarubia-Gómez. (Environmental Science & Technology, 2022, doi: 10.1021/acs.est.1c04158)
Quelle: Stockholm Resilience Centre, Universität Stockholm