Umwelt

Planetare Grenzen überschritten

Menschheit reißt sieben von acht Grenzen des Erdsystems zumindest auf regionaler Ebene

Globus
Die Belastungsgrenzen unseres Planeten sind in vielen Bereichen schon überschritten. © Cimmerian/ Getty images

Alarmierende Bilanz: Forschende haben die Belastungsgrenzen des Erdsystems neu definiert und beziehen erstmals regionale Ungleichheiten und den Aspekt der Gerechtigkeit mit ein. Von den sicheren und gerechten Grenzen in acht Bereichen sind demnach sieben schon ganz oder in Teilen überschritten, darunter für Gewässer und Grundwasser, Ökosysteme sowie Nährstoffeinträge, wie das Team in „Nature“ berichtet. Beim Klima liegt die sichere Grenze bei 1,5 Grad, die gerechte jedoch bei nur einem Grad Erwärmung – sie ist bereits überschritten.

Das System Erde ist zwar robust, aber seine Belastbarkeit hat Grenzen. Werden diese überschritten, könnten sich Natur, Stoffkreisläufe und Ressourcen auf unserem Planeten so verändern, dass auch die Menschheit gefährdet ist. 2009 haben Wissenschaftler daher neun planetare Grenzen für Klimawandel, Wasserverbrauch, Ökosystem-Integrität, Landnutzung, Aerosole, Ozonschicht, Ozeanversauerung, neuartige Schadstoffe und die Stickstoff- und Phosphor-Kreisläufe definiert. 2015 waren vier dieser neun Grenzen bereits überschritten, später kamen noch zwei weitere dazu.

Erdsystemgrenzen
Die acht Erdsystembereiche und ihre sicheren (rot) und gerechten (blau) Grenzen. Grün markiert sind Bereiche, in denen beide übereinstimmen. Die Erdkugeln zeigen den aktuellen globalen Stand – regional gibt es aber in allen Bereichen außer den Aerosolen Überschreitungen der Grenzen.© FutureEarth / Earth Commission / Lade et al., 2023

Sicher und gerecht

Doch diese planetaren Grenzen greifen zu kurz, wie ein internationales Team um Johan Rockström vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) nun konstatiert. Denn ihnen fehlt der Aspekt der Gerechtigkeit: Weil die bisherigen Grenzen weder regionale Unterschiede in der Belastung erfassen noch die Auswirkungen auf kommende Generationen und andere Arten, haben Rockström und sein Team das Konzept der planetaren Grenzen nun erweitert und sie neu definiert.

„Von zentraler Bedeutung im Konzept der ‚sicheren und gerechten Grenzen des Erdsystems‘ ist die neue Unterscheidung zwischen den rein auf das Erdsystem bezogenen, moderat sicheren (‚safe‘) Grenzen und einem erweiterten Konzept, in das Gerechtigkeitsaspekte einbezogen werden (‚just‘)“, erläutert der nicht an der Studie beteiligte Forscher Gregor Hagedorn vom Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung in Berlin. Weil sich bestimmte Eingriffe in das Erdsystem regional unterschiedlich auswirken, liegen die gerechten Grenzen in einigen Bereichen niedriger als die sicheren.

Grenzen und Bereiche neu definiert

Konkret umfasst das neue Konzept fünf große Bereiche – Klima, Biosphäre, Wasser, Nährstoffkreisläufe und Aerosole, von denen einige noch einmal unterteilt sind: So gliedert sich Wasser in Oberflächengewässer und Grundwasser, die Biosphäre in funktionelle Integrität der Ökosysteme und in die Fläche der noch natürlichen Ökosysteme. Bei den Nährstoffen werden Stickstoff und Phosphor unterschieden.

Bei drei dieser acht planetaren Bereiche liegen die gerechten Grenzen niedriger als die sicheren Grenzen. So gilt eine Erwärmung um 1,5 Grad als die sichere Grenze des noch für die Menschheit gut verkraftbaren. Doch in einigen Regionen kann der Klimawandel schon deutlich früher kaum noch erträgliche Dimensionen erreichen. Dies gilt beispielsweise für die Regionen, in denen die Temperaturen inzwischen schon weit über 40 Grad erreichen können. Auch bei der Aerosolbelastung und den Stickstoffeinträgen liegen die neu definierten gerechten Grenzen unterhalb der sicheren Grenzen.

„Zum ersten Mal präsentieren wir damit quantifizierbare Zahlen und eine solide wissenschaftliche Grundlage, um den Gesundheitszustand unseres Planeten nicht nur im Hinblick auf die Stabilität und Resilienz des Erdsystems zu bewerten, sondern auch in Bezug auf das menschliche Wohlergehen und die Gerechtigkeit, sagt Rockström. Wie der Zustand in Bezug auf die acht neu definierten Grenzen aussieht, haben die Forschenden nun ermittelt.

Weltkarte
Die Karte zeigt Hotspots der lokalen und regionalen Überschreitungen der Erdsystemgrenzen.© FutureEarth / Earth Commission / Lade et al., 2023

Sieben von acht Grenzen in Teilen überschritten

Das Ergebnis: Fünf der acht sicheren Grenzen sind bereits überschritten. Berücksichtigt man die gerechten Grenzen und regionale Unterschiede, sind es sogar sieben von acht. „86 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Gebieten, in denen zwei und mehr Grenzen überschritten sind, 28 Prozent sogar in Gebieten mit vier und mehr gerissenen Grenzen“, berichtet Rockström und seine Kollegen. Unter den besonders betroffenen Regionen sind Südasien, Teile Ostasiens, der Mittlere Osten sowie Osteuropa und Russland.

Konkret zeigt die Bilanz: Beim Klima ist die gerechte Grenze von einem Grad schon überschritten, die sichere Grenze von 1,5 Grad noch nicht. In der Biosphäre liegt die Grenze bei mindestens 50 bis 60 Prozent intakter Ökosystemflächen und 20 bis 25 Prozent naturnaher Habitate pro Quadratkilometer. Beides ist in weiten Gebieten schon nicht mehr vorhanden. Beim Grundwasser entnimmt die Menschheit auf 47 Prozent globalen Landfläche mehr als nachfließt – Grenze gerissen. Bei den Gewässern treiben menschliche Eingriffe die Wasserstände in einem Drittel der Fälle über die Grenze von 20 Prozent Schwankung hinaus.

Global überschritten werden auch die Grenzen für die Nährstoffe: Beim Stickstoff liegt der globale Eintrag jährlich bei 119 Megatonnen, sicher wären nur 61 Megatonnen pro Jahr. Beim Phosphor liegt der Eintrag im Schnitt bei zehn Megatonnen pro Jahr, sicher wären 4,5 bis neun Megatonnen. Noch nicht gerissen ist dagegen die Grenze für die Aerosolbelastung: Sie liegt bei einer Abnahme der optischen Tiefe um 0,15, bisher liegen die Werte im Mittel bei 0,05.

„Ziemlich besorgniserregend“

Damit unterstreicht die neue Bilanz, dass das Ausmaß der menschlichen Eingriffe ins Erdsystem deutlich größer ist als landläufig angenommen. „Die Ergebnisse unseres planetaren Gesundheits-Checks sind ziemlich besorgniserregend“, sagt Rockström. „Wenn nicht bald eine Transformation stattfindet, sind irreversible Kipppunkte und weitreichende Auswirkungen für das menschliche Wohlergehen wahrscheinlich unvermeidbar. Dieses Szenario zu verhindern, ist daher entscheidend, wenn wir eine sichere und gerechte Zukunft für aktuelle und künftige Generationen wollen.“

Ähnlich sieht es auch Johannes Emmerling vom European Institute on Economics and the Environment (EIEE) in Italien: „Generell ist die Studie (leider) ein Weckruf für die Politik, in wie vielen Bereichen wir riskieren, die Kontrolle über grundlegende Erdsubsysteme – möglicherweise unumkehrbar – zu verlieren“, kommentiert der nicht an der Studie beteiligte Forscher.

Gleichzeitig weisen er und andere Wissenschaftler darauf hin, dass gerade in Bezug auf die gerechten Grenzen und die Auswirkungen von Grenzüberschreitungen noch viele Fragen offen sind. Auch der Abgleich und die Integration der neu definierten Bereiche in die 2009 definierten planetaren Grenzen sei empfehlenswert. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-06083-8)

Quelle: Nature, Future Earth, Science Media Center

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