Müll-Inventur: Wissenschaftler haben erstmals ermittelt, in welchen Ländern am meisten Plastikmüll in der Umwelt landet. Die Top Drei sind demnach Indien, Nigeria und Indonesien – sie sind deutlich stärker mit Plastikabfällen verschmutzt als andere Länder. Ebenfalls unter den Top 10 sind China, Bangladesch und Russland. In den meisten westlichen Industrieländern gelangt hingegen weniger Kunststoffabfall auf inoffizielle Deponien, wird wild verbrannt oder liegt frei herum.
Für unsere Verpackungen und Alltagsgegenstände werden jährlich mehr als 400 Millionen Tonnen Kunststoffe produziert. Aber nicht immer werden diese Produkte nach der Nutzung sachgerecht entsorgt. Oft landen sie stattdessen in der Natur. Die langlebigen Materialien sind jedoch meist so robust, dass das Plastik dort nur extrem langsam abgebaut wird und sich daher zunehmend in der Umwelt anreichert. Diese Plastikverschmutzung wirkt sich negativ auf die Pflanzen- und Tierwelt an Land und im Meer und die menschliche Gesundheit aus.
Doch über welche Wege, in welcher Form und in welchen Mengen gelangt das Plastik genau in die Natur? In welchen Ländern wird besonders viel Kunststoff weggeworfen und warum?
Inventur des weltweiten Plastikabfalls
Diesen Fragen ist nun ein Team um Joshua Cottom von der University of Leeds erstmals detailliert nachgegangen. Dafür werteten sie verfügbare Daten zum lokalen Materialfluss aus dem Jahr 2020 aus und ermittelten daraus mit Hilfe einer KI und Computermodellen den lokalen und regionalen Plastikabfall in 50.702 Städten und Ländern weltweit.
Dieser Müll umfasst das sogenannte Makroplastik, also alle Kunststoffpartikel, die größer als fünf Millimeter sind. In dieser Größe ist Plastik theoretisch gut entsorgbar und recycelbar. Geschieht dies nicht, zerfällt der Kunststoff mit der Zeit zu Mikroplastik, verteilt sich weiter und gelangt über Luft und Nahrung auch in unseren Körper.
Das sind die Top 10 des weggeworfenen Plastikmülls
Die globale Inventur ergab, dass besonders in ärmeren Ländern in Süd- sowie Südostasien und in Afrika südlich der Sahara große Mengen an Plastikmüll anfallen. Der mit Abstand größte Abfall-Emittent ist dabei Indien mit 9,3 Millionen Tonnen Makroplastik pro Jahr – fast ein Fünftel des weltweit nicht umweltgerecht entsorgten Plastikmülls. Auf Platz zwei und drei folgen Nigeria und Indonesien mit 3,5 und 3,4 Millionen Tonnen Makroplastik jährlich. China – in älteren Analysen als Hauptverursacher ermittelt – belegt mit 2,8 Millionen Tonnen „nur“ noch Rang vier, gefolgt von Pakistan mit 2,8 Millionen Tonnen.
Unter den Top 10 der Plastik-Emittenten sind zudem Bangladesch und Russland (je rund 1,7 Millionen Tonnen), Brasilien (1,4 Millionen Tonnen) sowie Thailand und der Kongo (je 1 Millionen Tonnen). Zum Vergleich: In Nordamerika und den meisten europäischen Ländern liegt der Wert jeweils unter 0,1 Millionen Tonnen, in Deutschland sind es 7.725 Tonnen pro Jahr – das entspricht Platz 731 in der Liste der Regionen.
Plastik: Verbrannt oder in der Natur „entsorgt“
Insgesamt landen jährlich etwa 52,1 Millionen Tonnen Makroplastik als Abfall in der Umwelt, wie die Auswertung ergab. Das entspricht 21 Prozent des insgesamt anfallenden Plastikmülls. Der weltweite Kunststoffabfall landet demnach zwar mehrheitlich auf offiziellen Müllhalden, aber große Mengen gelangen auch unkontrolliert in die Natur. Rund 57 Prozent des nicht sachgerecht entsorgten Mülls wird dabei ohne Umweltauflagen und Schadstofffilter auf offener Straße oder auf inoffiziellen Mülldeponien verbrannt, der Rest landet weitgehend unverändert in der Natur.
Im globalen Norden entsteht der ungeregelte Abfall vorwiegend, weil er achtlos weggeworfen wird. Im globalen Süden häuft er sich hingegen notgedrungen an, weil er nicht kontrolliert gesammelt und entsorgt wird. Insgesamt 15 Prozent der Weltbevölkerung leben ohne Müllabfuhr-Service, wie die Forschenden berichten. „Mindestens 1,2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu Müllabfuhr und sind gezwungen, ihren Müll ‚selbst zu entsorgen‘, indem sie ihn oft an Land oder in Flüssen entsorgen oder in offenen Feuern verbrennen“, sagt Cottom.
Bemühungen um internationalen „Kunststoffvertrag“
Diese Erkenntnisse könnten politische Entscheidungsträger nun nutzen, um die regionale Müllentsorgung und das Recycling zu verbessern, so dass weniger Plastikabfall in der Umwelt landet. „Wir müssen uns viel, viel stärker auf die Bekämpfung von offenem Verbrennen und nicht eingesammeltem Müll konzentrieren, bevor noch mehr Leben unnötig durch Plastikverschmutzung beeinträchtigt werden“, sagt Seniorautor Costas Velis von der University of Leeds. Insbesondere in den ärmeren Ländern müsse die Müllabfuhr verbessert werden.
Die Forschenden plädieren zudem für einen weltweiten „Kunststoffvertrag“, in dem sich die Unterzeichner zu einer sachgerechten und dokumentierten Entsorgung des Plastiks in ihrem Land verpflichten. Dieser Vorschlag soll beim anstehenden UN-Plastikgipfel in Südkorea im November diskutiert werden.
Besseres Abfallmanagement alleine reicht nicht
Auch Treibhausgase und Schadstoffe, die bei der Müllverbrennung entstehen oder freigesetzt werden, könnten durch ein besseres Abfallmanagement teils reduziert werden. Diese schädigen das Klima beziehungsweise unsere Gesundheit – sie stören etwa die Fortpflanzung oder die Entwicklung von Ungeborenen und können zu Atemwegserkrankungen führen.
„Die Inventur unterstreicht aber auch die Tatsache, dass Strategien zum Umgang mit großen Plastikmüllstücken die Emissionen anderer Schadstoffe, einschließlich Mikroplastik, gefährlicher Luftschadstoffe und Treibhausgase, verstärken können“, schreibt Matthew MacLeod von der Universität Stockholm in einem Kommentar zur Studie. Er plädiert daher dafür, insgesamt weniger Plastik herzustellen, statt sich nur um dessen Entsorgung zu kümmern. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07758-6)
Quelle: University of Leeds, Nature