Verlagerte Massen: Der Nordpol der Erde wandert langsam nach Südwesten – um rund zehn Meter in den letzten 100 Jahren. Doch rund ein Drittel dieser Erdachsen-Verschiebung ist menschengemacht, wie nun eine Studie enthüllt. Denn die vom Klimawandel verursachte Eisschmelze in Grönland verändert die Massenverteilung der Erde – und das lässt die Erdachse wandern. Dieser Effekt könnte die Polwanderung in Zukunft sogar noch beschleunigen, wie die Forscher erklären.
Die geografischen Pole der Erde markieren die Lage der Erdachse – der Achse, um die unser Planet rotiert. Doch weil die Erde keine perfekte Kugel ist, eiert sie bei ihrer Drehung ständig leicht hin und her. Als Folge dieses Taumelns bewegen sich auch die Pole der Erde. Sie vollführen im Jahresverlauf eine mehrere Meter umfassende spiralförmige Wanderung, die von kleineren und kurzfristigeren Bewegungen überlagert wird. Gleichzeitig driftet die Erdachse und mit ihr der geografische Nordpol langsam Richtung Südwesten – um rund zehn Zentimeter pro Jahr und insgesamt zehn Meter im letzten Jahrhundert.
Hebung der Erdkruste
Was aber verursacht diese Poldrift? „Gängiger Theorie nach ist vor allem ein Prozess für diese Polwanderung verantwortlich: die postglaziale Landhebung“, erklärt Surendra Adhikari vom Jet Propulsion Laboratory der NASA. Sie findet überall dort statt, wo während der letzten Eiszeit noch Gletscher das Land bedeckten. Von der Last dieser Eismassen befreit, federt die Erdkruste in diesen Gebieten seither in Zeitlupe zurück und hebt sich.
Dieser Prozess hält bis heute an und beeinflusst das Schwerefeld der Erde und die Erdrotation. Deshalb galt dieser isostatische Rebound-Effekt als Hauptursache der Polwanderung – jedenfalls bisher.
Eiszeit-Effekt allein reicht nicht
Doch Adhikari und ihr Team widerlegen dies nun. Sie haben die Polbewegung der letzten 100 Jahre neu analysiert – und dabei Überraschendes festgestellt: „Unsere Analyse enthüllt, dass dieser Prozess nur rund 33 Prozent der beobachteten Amplitude der Polwanderung ausmacht“, berichten sie. Nur rund 3,50 Meter des Weges, den der Nordpol in den letzten 100 Jahren zurückgelegt hat, lassen sich demnach mit diesem Effekt erklären.
Was aber ist mit dem Rest? Auf der Suche nach Ursachen bezogen die Forscher nun auch weitere Prozesse mit ein, die die großräumige Massenverteilung der äußeren Erdschichten verändern. Dazu gehören neben Strömungen im Erdmantel auch die Schmelze von Eismassen, Veränderungen in Grundwasservorkommen oder großen Gewässern.
Ein Drittel geht auf unser Konto
Das Ergebnis: Ein weiteres Drittel der Polwanderung ist menschengemacht – zumindest indirekt. Denn der Klimawandel hat in den letzten rund 100 Jahren 7.500 Gigatonnen Eis aus Grönlands Gletschern in Schmelzwasser verwandelt und in den Weltmeeren verteilt. Der dadurch entlastete Felssockel Grönlands steigt besonders stark in die Höhe – und beeinflusst so die Erdachse.
Dieser Prozess ist für 4,30 Meter Poldrift in den letzten 100 Jahren verantwortlich, wie die Wissenschaftler errechneten. „Schuld an dieser relativ großen Wirkung ist ein geometrischer Effekt“, erklärt Koautor Eric Ivins vom JPL. „Weil die Eismassen Grönlands rund 45 Grad von Nordpol entfernt sind, hat ihre Veränderung eine größere Auswirkung auf die Rotationsachse der Erde als eine Masse direkt am Pol.“ Einfacher ausgedrückt: Je weiter entfernt vom Pol Massenverschiebungen stattfinden, desto mehr eiert die Erde dadurch.
Polwanderung könnte sich verstärken
Doch auch dies erklärt noch nicht das gesamte Ausmaß der Polwanderung. Einen dritten Akteur spürten die Forscher tief unter der Erdoberfläche auf: im oberen Erdmantel. „Einer der Schlüsselmechanismen für die Polwanderung des 20. Jahrhunderts sind die Massenbewegungen der Mantelkonvektion“, berichten Adhikari und ihre Kollegen. Sie sind ebenfalls für ein knappes Drittel der Polwanderung verantwortlich.
„Damit haben wir nicht nur einen, sondern gleich drei Prozesse identifiziert, die für die Polwanderung entscheidend sind“, konstatieren die Wissenschaftler. „Und das Abschmelzen der weltweiten Cryosphäre im Verlauf des 20. Jahrhunderts, insbesondere in Grönland, ist eines davon.“
Adhikari und ihr Team halten es für durchaus möglich, dass sich die Polwanderung in Zukunft weiter beschleunigen könnte. Denn wenn die grönländischen Gletscher künftig schneller abtauen, dann verstärkt sich auch die Massenverschiebung – und damit die Drift der irdischen Rotationsachse. (Earth and Planetary Science Letters, 2018; doi: 10.1016/j.epsl.2018.08.059)
(NASA/JPL, 27.09.2018 – NPO)