Das auffallendste Merkmal des Watts ist der regelmäßige Wechsel von Wasserbedeckung und Trockenfallen. Der rasche Wechsel in den Umweltbedingungen, zu denen als Folge der Gezeiten und der Wetterbedingungen auch die Änderungen in der direkten Sonneneinstrahlung und im Salzgehalt zählen, könnte voreilig als lebensfeindlich angesehen werden. Tatsächlich jedoch ist die biologische Aktivität gerade im Ökosystem Watt besonders hoch. Die Watten bilden die Lebensgrundlage für zahlreiche Vogelarten und für die Jungstadien vieler Meeresorganismen. Watten sind zudem ein wichtiger Schutz der Küsten vor Erosion durch das Meer. Sie sind gleichzeitig Quelle und Senke für Sedimente und vom Menschen verursachte Verschmutzungen.
Das flache Relief der Nordsee und die ausgeprägten Gezeiten führen zu ausgedehnten Wattflächen entlang der Nordseeküsten. Eines der größten zusammenhängenden Gezeitengebiete der Erde erstreckt sich entlang der Nordseeküste von der Nordspitze Jütlands über die Küsten Schleswig-Holsteins und Niedersachsens bis in die Niederlande. Der Tidenhub beträgt in der östlichen Nordsee etwa ein bis drei Meter. Der Lebensraum des Wattenmeeres umfasst die oberhalb der mittleren Hochwasserlinie gelegenen Salzwiesen, Dünen und Strände, das bei Niedrigwasser trocken fallende Watt im eigentlichen Sinn und die ständig vom Wasser bedeckten Priele und Tiefs.
Innerhalb des Wattenmeeres unterscheidet man aufgrund der Sedimentbeschaffenheit zwischen Schlickwatten, die meist nahe der Hochwasserlinie oder in strömungsberuhigten Gebieten entstehen, Mischwatten und Sandwatten. Diese Sedimenttypen bieten unterschiedliche Lebensräume für die Organismen, die im Wattboden leben. Durch Wechselwirkungen der Organismen untereinander entstehen komplexe biologische Strukturen. In den einzelnen Regionen des Wattenmeeres dominieren bestimmte Lebensformen, zum Beispiel der Wattwurm mit seinen typischen geringelten Kothaufen, ausgedehnte Rasen des Bäumchenröhrenwurms oder Miesmuschelbänke.
Mikroalgen als Basis des Nahrungsnetzes
Das Nahrungsnetz baut im Wesentlichen auf den am Boden und in der Wassersäule lebenden Mikroalgen auf. Neben den umfangreichen Fraßbeziehungen innerhalb der Fauna am Wattboden erstrecken sich die Wechselwirkungen der Organismen untereinander weiter auf die höheren Ebenen des Nahrungsnetzes. So nutzen viele Jungfische und Garnelen das reichliche Nahrungsangebot im Watt. Die riesigen Schwärme von Zugvögeln, die zweimal jährlich das Wattenmeer auf ihrem Flug zwischen arktischen Brutgebieten und tropischen Überwinterungsquartieren aufsuchen, zeugen von üppigen Nahrungsquellen.
Für die Rolle der Mikroorganismen im Stoffhaushalt der Wassersäule, der Sedimentoberfläche und der tieferen Sedimentschichten beginnt sich der Blick gerade erst zu schärfen. Neben den Filtrierern (zum Beispiel Muscheln) sind sie das Klärwerk des Watts, das die Überreste des abgestorbenen Planktons und anderer Lebewesen wieder abbaut und die Produkte in den Nährstoffkreislauf zurückführt. Die Bakterien erledigen diese Arbeit vorwiegend in der Wassersäule und den obersten, oft nur wenige Millimeter mächtigen Sedimentschichten, die noch Sauerstoff enthalten. Sie sorgen dafür, dass sich die darunter liegende sauerstofffreie Zone nicht bis an die Sedimentoberfläche ausdehnt und das Watt eutrophiert („umkippt“).
Rolle der Bakterien unklar
Noch völlig unklar ist die Rolle der Bakterien, die in der sauerstofffreien Zone der Sedimente unterhalb der Oberflächenschicht leben. Es handelt sich vielfach um noch unbekannte, schwer kultivierbare Organismen mit nicht erforschten physiologischen Eigenschaften und Lebenszyklen. Es ist nicht klar, ob sie sich von den schwer abbaubaren Resten des organischen Materials ernähren, das die Bakterien in der Oberflächenschicht übrig lassen, oder ob sie durch das Porenwasser der Sedimente mit leichter verwertbaren Nährstoffen versorgt werden. Möglicherweise handelt es sich um Verwandte der Bakterien, die bis in mehr als 1.000 Meter Sedimenttiefe unter dem Boden der Ozeane unter ähnlich unwirtlichen Bedingungen leben.
Link:
Weitere Informationen: www.icbm.de/watt
(Jürgen Rullkötter, Universität Oldenburg, Kirsten Achenbach, MARUM_Forschungszentrum Ozeanränder, Universität Bremen, 11.01.2008 – DLO)