Agaven-Gebräu als „flüssiges Brot“: Schon die Bewohner der rätselhaften Stadt Teotihuacan in Mexico tranken Pulque – eine Art Wein aus Agavensaft. Das belegen Analysen von Gefäßresten aus dieser präkolumbianischen Metropole. Dies ist nicht nur der älteste Beleg für die Herstellung von Pulque in Mittelamerika, diese Braupraxis könnte auch erklären, wie die Teotihuacanos Mais-Missernten überbrückten – mit „flüssigem Brot“.
Heute ist das nordöstlich von Mexiko Stadt gelegene Teotihuacan eine verfallene Ruine. Doch die Überreste von gewaltigen Tempelpyramiden, ein riesiger Palast und zahlreiche von einer hohen Mauer umgebenen Wohnkomplexe zeugen von der einstigen Bedeutung dieser Stadt. Kurz nach Christi Geburt war Teotihuacan eine der größten Städte der Welt: Ihr regelmäßiges Raster von Wohnblocks und Straßen erstreckte sich über rund 36 Quadratkilometer und hatte zwischen 25.000 und 125.000 Einwohner – je nachdem, welcher Quelle man folgt.
Erbaut wurde Teotihuacan von einer Kultur, die noch immer in vielem rätselhaft ist. Wie die Bewohner der Stadt lebten, welchen Glauben sie hatten und welche Kultur, ist noch immer nur in Teilen bekannt. Unklar bleibt auch, woher diese Menschen kamen und warum diese zeitweise über weite Teile Mittelamerikas herrschende Großmacht etwa ab 650 nach Christus zu verschwinden begann.
Verräterische Mikrobenreste
Ein kleines Puzzlesteinchen zur Lebensweise dieses rätselhaften Volkes liefern nun Marisol Correa-Ascencio von der University of Bristol und ihre Kollegen. Denn sie haben Rückstände an zerbrochenen Amphoren analysiert, die in Teotihuacan und seiner Umgebung gefunden wurden. Mit Hilfe der Gaschromatografie stießen sie auf chemische Relikte von Zellen, die zu Bakterien der Art Zymomonas mobilis gehörten.
Diese Mikroben aber spielen in den Kulturen Mittelamerikas noch heute eine besondere Rolle. Denn ähnlich wie Bierhefe bei uns die Herstellung von Bier ermöglicht, sorgen diese Bakterien dafür, dass aus dem Saft von Agaven Pulque entsteht – ein alkoholisches Getränk, das schon die Azteken genossen und das heute als das Nationalgetränk Mexikos gilt.
„Unsere Funde liefern überzeugende Beweise dafür, dass Pulque schon um 200 nach Christus in Teotihuacan hergestellt und in Amphoren gelagert wurde“, konstatieren die Forscher. Dies sei damit der bisher älteste Beleg für die Produktion dieses alkoholischen Getränks in Mittelamerika.
Agaven-Getränk als „flüssiges Brot“
Für die Bewohner von Teotihuacan könnte die Pulque aber mehr gewesen sei als nur ein berauschendes Getränk. Der Agavensaft war vermutlich eine wichtige Ergänzung ihrer zeitweise ziemlich knappen Nahrung. Denn die präkolumbianische Großstadt deckte ihren Nahrungsbedarf vor allem aus Mais, dieser jedoch enthält von vielen Nährstoffen, Vitaminen und Aminosäuren zu wenig, um eine ausgewogene Ernährung zu gewährleisten.
Das Agavengetränk dagegen könnte die fehlenden Nährstoffe geliefert und zudem in Zeiten von Missernten für zusätzliche Kalorien gesorgt haben. „Die Belege für die Pulque-Herstellung liefert uns neue Einblicke darin, wie die Teotihuacanos ihren Nahrungsbedarf trotz häufiger Dürren und Frost decken konnten“, sagen Correa-Ascencio und ihre Kollegen. Denn im Gegensatz zum eher sensiblen Mais sei die Agave frost- und trockenresistent. Ähnlich wie das Bier bei uns im Mittelalter durchaus auch einen wichtigen Nährwert hatte, könnte in Mittelamerika auch die Pulque eine Art „flüssiges Brot“ gewesen sein. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2014; doi: 0.1073/pnas.1408339111)
(PNAS, 16.09.2014 – NPO)